Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Tast- und Bewegungsvorstellungen. 
Der Begriff des Empfindungskreises, wie er hier aufgestellt worden, 
ist bloß ein anderer Ausdruck für die Thatsache der räumlichen Schwelle 
und ihrer Größenverschiedenheiten; über die in der Haut getroffenen Ein¬ 
richtungen wird durch denselben noch nichts festgestellt. Ehe dies ge¬ 
schehen kann, müssen die verschiedenen Einflüsse erwogen sein, von denen 
die Ausdehnung der Empfindungskreise abhängt. Von diesen Einflüssen 
weisen aber die einen auf in der Organisation gegebene unveränderliche 
Structurbedingungen, die andern auf die Mitwirkung mehr variabler psy¬ 
chologischer Momente hin. 
Unter den Structurbedingungen stehen die Verhältnisse der Nerven- 
vertheilung und der Verbreitung besonderer Tastapparate oben an. Je 
reicher ein Hautbezirk an sensibeln Nerven ist, die sich in ihm ausbreiten, 
um so feiner ist in ihm die Unterscheidung. Hauptsächlich die nerven- 
reichsten Theile sind außerdem mit Tastkörperchen und Endkolben ver¬ 
sehen, durch welche wahrscheinlich die Nerven den Druckreizen leichter 
zugänglich gemacht sind1). Sobald zwei mit solchen Apparaten versehene 
Druckpunkte der Haut mit hinreichend punktförmigen Eindrücken getroffen 
werden, so werden diese auch, wie es scheint, räumlich getrennt aufge¬ 
fasst. Darum bleiben die auf solche Weise unterschiedenen Minimal¬ 
distanzen stets erheblich unter dem Durchmesser der nach der Raum¬ 
schwelle für ausgebreitetere Eindrücke bemessenen Empfindungskreise2). 
Doch sind jene Endgebilde keineswegs zur Localisation der Eindrücke un¬ 
erlässlich, da Hauttheile, welche derselben ganz entbehren, trotzdem zur 
räumlichen Unterscheidung befähigt sind, und da Hautnarben, deren Ge¬ 
webe zwar sensible Nerven, aber keinerlei Tastkörper führt, gleichwohl 
Eindrücke nicht nur empfinden sondern auch localisiren3). Zudem ist das 
Uebereinandergreifen der Empfindungskreise, wie es nothwendig voraus¬ 
gesetzt werden muss, mit der Annahme von Tastorganen, welche durch 
vollkommen unempfindliche Stellen getrennt wären, kaum oder doch 
höchstens bei den durch großen Reichtum an Tastkörpern ausgezeichneten 
Theilen vereinbar. Auch die Verhältnisse der räumlichen Ordnung der 
U L s* 310 ff. . 2) Vergl. die beiden Tabellen auf S. 7. 
3) Lussana (Arch. ital. de biol., IX, p. 268), der bei einem in Folge einer Ver¬ 
brennung eingetretenen großen Hautdefect noch Druck- und Schmerzempfindlichkeit 
beobachtete, konnte allerdings die Unterscheidung einer Doppelberührung nicht con- 
statiren. Aber da der Defect schwerlich den Durchmesser der größten Empfindungs¬ 
kreise (z. B. am Rücken) erheblich überschritten haben dürfte, so ist daraus nicht zu 
schließen, dass das Narbengewebe unter allen Umständen zur räumlichen Unterschei- 
dung von Eindrücken unfähig sei. Vielmehr ist principiell eine solche Unterschei¬ 
dungsfähigkeit offenbar vorauszusetzen, sobald überhaupt Localisation stattfindet, wenn 
auch im einzelnen Fall eine Narbenfläche sehr selten die dazu erforderliche* Größe 
erreichen mag. Denn die Localisation als die Aerlegung eines Eindrucks an einen 
bestimmten Ort schließt doch ein, dass auch gleichzeitig ein zweiter Eindruck an 
einen andern Ort verlegt werden könne.
	        
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