Aesthetische Wirkung der Gestalten.
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äußert, wogegen das Gehör vollkommen frei nach den subjectiven Ge¬
setzen der Empfindung und Vorstellung waltet. Bei der psychologischen
Analyse der Gestaltenwirkung wird schon aus diesem Grunde zunächst
von den einfachsten Fällen geometrischer Schönheit auszugehen sein,
welche ebenfalls den Vortheil bieten, dass sie willkürlich erzeugt werden
können und eine Zurückführung auf mathematische Verhältnisse in Aus¬
sicht stellen. Es soll nicht bestritten werden, dass die ästhetische Wirkung
solcher Formen eine sehr geringe ist. Sie ganz zu leugnen würde aber
gegen alle Kunsterfahrung verstoßen, da doch die Ornamentik überall von
derselben Gebrauch macht. Im allgemeinen können wir nun von diesem
Gesichtspunkte aus zwei Bedingungen ästhetischer Elementarwirkung unter¬
scheiden: die Gliederung der Gestalten und den Lauf der Be¬
grenzungslinien.
Die Beobachtung der Gliederung einfacher Gestalten ergibt
als nächstes Resultat, dass wir das Regelmäßige dem Unregelmäßigen
vorziehen. Der einfachste Fall der Regelmäßigkeit, die Symmetrie,
begegnet uns daher an allen Formen, bei denen eine gewisse ästhetische
Wirkung beabsichtigt ist, und bei denen nicht die Nachbildung asymme¬
trischer Naturformen eine Abweichung vorgeschrieben hat. Die Symmetrie
ist aber vorzugsweise eine horizontale: so namentlich bei den frei er-
zeugten Gebilden der Architektur und Ornamentik. In verticaler Richtung
treten viel häufiger andere Größenverhältnisse an deren Stelle. Jene Be¬
vorzugung beruht wohl auf der Gewöhnung an die Naturformen, wo
namentlich bei den organischen, den Pflanzen und Thieren, vor allen beim
Menschen selbst, ebenfalls eine horizontale oder bilaterale Symmetrie be¬
steht. Es sind nun aber keineswegs etwa alle einfach symmetrischen
Figuren einander ästhetisch gleichwerthig. Wir ziehen z. B. entschieden
einem Kreis oder Quadrat ein symmetrisches Kreuz oder sogar einem Qua¬
drat mit horizontaler Grundlinie ein solches vor, dessen Ecken durch die
Horizontale und Verticale halbirt werden. Der einfache Kreis gewinnt
an ästhetischer Wirkung, wenn er mittelst einer Anzahl von Durchmessern
in gleiche Sectoren getheilt ist, und diese Wirkung erhöht sich noch, wenn
außerdem in jedem Sector die Sehne gezogen wird. Geometrischer Formen
dieser Art bedient sich daher nicht selten schon die Ornamentik, die von
den einfachen Figuren kaum jemals Gebrauch macht. Wir können diese
Erfahrungen dahin zusammenfassen, dass symmetrische Formen wohlge¬
fälliger werden, wenn in ihnen eine größere Zahl einzelner Theile ver¬
bunden ist. Die nackte Symmetrie ohne weitere Gliederung der Form ist
zu arm, um unser Gefühl merklich anzuregen.
Für diejenigen Gliederungen der Gestalten, welche sich auf die
Höhendimensionen oder auf das Verhältniss der Breite und Tiefe zur Höhe