Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Aesthetische Wirkung der Gestalten. 
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äußert, wogegen das Gehör vollkommen frei nach den subjectiven Ge¬ 
setzen der Empfindung und Vorstellung waltet. Bei der psychologischen 
Analyse der Gestaltenwirkung wird schon aus diesem Grunde zunächst 
von den einfachsten Fällen geometrischer Schönheit auszugehen sein, 
welche ebenfalls den Vortheil bieten, dass sie willkürlich erzeugt werden 
können und eine Zurückführung auf mathematische Verhältnisse in Aus¬ 
sicht stellen. Es soll nicht bestritten werden, dass die ästhetische Wirkung 
solcher Formen eine sehr geringe ist. Sie ganz zu leugnen würde aber 
gegen alle Kunsterfahrung verstoßen, da doch die Ornamentik überall von 
derselben Gebrauch macht. Im allgemeinen können wir nun von diesem 
Gesichtspunkte aus zwei Bedingungen ästhetischer Elementarwirkung unter¬ 
scheiden: die Gliederung der Gestalten und den Lauf der Be¬ 
grenzungslinien. 
Die Beobachtung der Gliederung einfacher Gestalten ergibt 
als nächstes Resultat, dass wir das Regelmäßige dem Unregelmäßigen 
vorziehen. Der einfachste Fall der Regelmäßigkeit, die Symmetrie, 
begegnet uns daher an allen Formen, bei denen eine gewisse ästhetische 
Wirkung beabsichtigt ist, und bei denen nicht die Nachbildung asymme¬ 
trischer Naturformen eine Abweichung vorgeschrieben hat. Die Symmetrie 
ist aber vorzugsweise eine horizontale: so namentlich bei den frei er- 
zeugten Gebilden der Architektur und Ornamentik. In verticaler Richtung 
treten viel häufiger andere Größenverhältnisse an deren Stelle. Jene Be¬ 
vorzugung beruht wohl auf der Gewöhnung an die Naturformen, wo 
namentlich bei den organischen, den Pflanzen und Thieren, vor allen beim 
Menschen selbst, ebenfalls eine horizontale oder bilaterale Symmetrie be¬ 
steht. Es sind nun aber keineswegs etwa alle einfach symmetrischen 
Figuren einander ästhetisch gleichwerthig. Wir ziehen z. B. entschieden 
einem Kreis oder Quadrat ein symmetrisches Kreuz oder sogar einem Qua¬ 
drat mit horizontaler Grundlinie ein solches vor, dessen Ecken durch die 
Horizontale und Verticale halbirt werden. Der einfache Kreis gewinnt 
an ästhetischer Wirkung, wenn er mittelst einer Anzahl von Durchmessern 
in gleiche Sectoren getheilt ist, und diese Wirkung erhöht sich noch, wenn 
außerdem in jedem Sector die Sehne gezogen wird. Geometrischer Formen 
dieser Art bedient sich daher nicht selten schon die Ornamentik, die von 
den einfachen Figuren kaum jemals Gebrauch macht. Wir können diese 
Erfahrungen dahin zusammenfassen, dass symmetrische Formen wohlge¬ 
fälliger werden, wenn in ihnen eine größere Zahl einzelner Theile ver¬ 
bunden ist. Die nackte Symmetrie ohne weitere Gliederung der Form ist 
zu arm, um unser Gefühl merklich anzuregen. 
Für diejenigen Gliederungen der Gestalten, welche sich auf die 
Höhendimensionen oder auf das Verhältniss der Breite und Tiefe zur Höhe
	        
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