Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Ästhetische Elementargefühle. 
Bei den Gesichtsvorstellungen hat man der Combination verschiedener neben 
einander stattfmdender Farbenempfindungen eine besondere, den Klangverbin¬ 
dungen analoge Wirkung zugeschrieben. Eine unbefangene Beobachtung muss 
jedoch in dieser Beziehung wohl bei der Bemerkung stehen bleiben, dass con- 
trastirende Farben in ihrer sinnlichen Wirkung sich heben, verwandte Farben 
aber verschiedene Abstufungen einer in ihrem Grundcharakter übereinstimmenden 
Wirkung hervorbringen1). Dabei ist übrigens diese Regel weit entfernt, gleich 
dem Harmoniegesetz der Töne, für die Farbenverbindung bestimmend zu werden, 
da die letztere vor allem nach den in der Natur gegebenen Verhältnissen und 
nach der sinnlichen Wirkung der einzelnen Farben sich richtet. Mit dieser 
Beschränkung bildet aber die Farbe immerhin in ähnlicher Weise einen bedeu¬ 
tungsvollen sinnlichen Hintergrund für die ästhetische Wirkung der Gesichts¬ 
objecte, wie der einzelne Ton im Gefüge der Harmonie und Melodie. Und in 
dieser Beziehung ist denn auch die hebende oder störende Wirkung der ein¬ 
zelnen Farben auf einander der sinnlichen Wirkung der Consonanz und Dissonanz 
zu vergleichen, wobei freilich nicht übersehen werden darf, dass die Störung, 
die sich im Zusammenklang mit großer Gewalt geltend macht, durch das exten¬ 
sive Nebeneinander der Eindrücke ermäßigt wird, und dass überdies die An¬ 
schauung der Natur und die durch sie entstandene Gewöhnung an mannigfache, 
nicht ganz befriedigende Farbenverbindungen unsere Empfindung mehr abge¬ 
stumpft hat, als bei der in freierer Selbstschöpfung sich bewegenden Klangwelt. 
So bleibt denn beim Gesichtssinn das ästhetische Gefühl selbst an die räum¬ 
liche Form der Vorstellung gebunden. Jeder Gegenstand wirkt auf uns ästhe¬ 
tisch durch seine Gestalt. Die Farbe kann, wo sie hinzutritt, solche Wir¬ 
kung verstärken, indem sie entsprechende sinnliche Gefühle wachruft. Aber 
die ästhetische Wirkung kann auch unabhängig von dieser Zugabe der reinen 
Empfindung entstehen, wie die bloß gestaltenden Künste, Plastik, Architektur 
und zeichnende Kunst, beweisen. 
2. Aesthetische Wirkung der Gestalten. 
Um die objectiven Bedingungen festzustellen, an welchen die ästhetische 
Wirkung der Gestalten haftet, bieten sich zwei Wege dar. Man kann zu¬ 
nächst einfache in freier Construction erzeugte Formen in Bezug auf das 
Gefallen oder Missfallen prüfen, das sie hervorbringen, ein Weg, der ganz 
und gar dem bei der Untersuchung der Klangverbindungen eingeschlagenen 
entspricht. Oder man kann hineingreifen in die lebendige Wirklichkeit der 
Natur und der sie nachahmenden Kunst, um an ihren Werken das Ge¬ 
fallende und Missfallende aufzufinden. Hier sehen wir uns dann auf einem 
neuen Wege, den man bei den Gesichts Vorstellungen vielfach sogar für den 
einzigen hielt, während es Niemandem einfallen würde, dem Gesang der 
Vögel oder dem Rollen des Donners zu lauschen, um die Bedingungen der 
musikalischen Schönheit aufzufinden. Darin zeigt sich eben die ungeheuere 
Macht, welche bei der Gestaltenwirkung die unmittelbare Wahrnehmung
	        
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