Harmonie und Rhythmus.
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Hintergrund der Accordwirkung der kraftvolle Charakter der tiefen Töne,
der durch den Grundklang sich dem Durdreiklang mittheilt, .und der im
Moll durch den entgegengesetzten Charakter des übereinstimmenden Ober¬
tons ersetzt wird. So kommt es, dass wir nur beim Duraccord in dem
positiven Gefühl der Harmonie befriedigt ruhen, während der Mollaccord
mit seinen zwei auseinanderfallenden Grundklän^en vielmehr ein Streben
nach der Harmonie als diese selbst auszudrücken scheint. Er erhält da¬
durch jenen sehnenden Charakter, der die Molltonarten zur Schilderung
gewisser Gemüthslagen so geeignet macht. Die Disharmonie und Dissonanz
ertragen wir nur als Uebergangsstimmung: sie muss sich in Harmonie
und Consonanz auflösen, damit die befriedigende Wirkung der letzteren
um so reiner hervortrete. Verstärkt wird diese Wirkung unter Umständen
durch die Schwebungen und die Rauhigkeit des Zusammenklangs, die der
störenden Wirkung, welche die Unvereinbarkeit der Einzelvorstellungen
auf unser Bewusstsein ausübt, die unmittelbare Störung der Klangempfin¬
dungen hinzufügen.
Der Rhythmus erregt Gefallen durch intensiv oder qualitativ ver¬
wandte Eindrücke, die in dem Wechsel verschiedener Gehörsvorstellungen
meist nach regelmäßigen Zeiträumen sich wiederholen. Gleiche Eindrücke
in gleichen Pausen stattfindend wirken ermüdend, aber niemals rhyth¬
misch. Damit ein ästhetisches Gefallen entstehe, müssen mindestens zwei
verschiedene Eindrücke, Hebung und Senkung des Klangs, wie im 2/8-Takt,
in regelmäßigem Wechsel einander folgen. Ebenso hört das rhythmische
Gefühl auf, wenn die Reihe verschiedenartiger Eindrücke so groß wird,
dass die Wiederholung des Aehnlichen nicht mehr empfunden werden
kann, wie im 9/4-Takt oder in andern die Grenze der Uebersichtlichkeit
überschreitenden Formen1). Durch die Zusammenfügung der Takte zu
rhythmischen Reihen, der Reihen zu Perioden, endlich der musikalischen
Perioden zu den Abtheilungen der Melodie kann das rhythmische Gefühl
auch noch über größere Aufeinanderfolgen ausgedehnt werden. Wie die
Harmonie, so beruht also auch der Rhythmus auf der leicht überschau¬
baren Verbindung der Vorstellungen. Innerhalb der allgemeinen Regel¬
mäßigkeit der Succession werden dann durch die verschiedene Taktgliede¬
rung, die schnellere oder langsamere Folge der Eindrücke mannigfaltige
Formen des Gefallens möglich, die sich noch unendlich erweitern, indem
sie sich in der Melodie mit den Gesetzen der harmonischen Klangverbin¬
dung vereinigen. In dem Ganzen der musikalischen Wirkung ist es die
Harmonie, welche der Gemüthsstimmung ihre Richtung gibt, der Rhythmus,
welcher das Wechseln und Wogen der Gefühle schildert.
1) S. 74, Anm. 2.
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