Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Harmonie und Rhythmus. 
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Hintergrund der Accordwirkung der kraftvolle Charakter der tiefen Töne, 
der durch den Grundklang sich dem Durdreiklang mittheilt, .und der im 
Moll durch den entgegengesetzten Charakter des übereinstimmenden Ober¬ 
tons ersetzt wird. So kommt es, dass wir nur beim Duraccord in dem 
positiven Gefühl der Harmonie befriedigt ruhen, während der Mollaccord 
mit seinen zwei auseinanderfallenden Grundklän^en vielmehr ein Streben 
nach der Harmonie als diese selbst auszudrücken scheint. Er erhält da¬ 
durch jenen sehnenden Charakter, der die Molltonarten zur Schilderung 
gewisser Gemüthslagen so geeignet macht. Die Disharmonie und Dissonanz 
ertragen wir nur als Uebergangsstimmung: sie muss sich in Harmonie 
und Consonanz auflösen, damit die befriedigende Wirkung der letzteren 
um so reiner hervortrete. Verstärkt wird diese Wirkung unter Umständen 
durch die Schwebungen und die Rauhigkeit des Zusammenklangs, die der 
störenden Wirkung, welche die Unvereinbarkeit der Einzelvorstellungen 
auf unser Bewusstsein ausübt, die unmittelbare Störung der Klangempfin¬ 
dungen hinzufügen. 
Der Rhythmus erregt Gefallen durch intensiv oder qualitativ ver¬ 
wandte Eindrücke, die in dem Wechsel verschiedener Gehörsvorstellungen 
meist nach regelmäßigen Zeiträumen sich wiederholen. Gleiche Eindrücke 
in gleichen Pausen stattfindend wirken ermüdend, aber niemals rhyth¬ 
misch. Damit ein ästhetisches Gefallen entstehe, müssen mindestens zwei 
verschiedene Eindrücke, Hebung und Senkung des Klangs, wie im 2/8-Takt, 
in regelmäßigem Wechsel einander folgen. Ebenso hört das rhythmische 
Gefühl auf, wenn die Reihe verschiedenartiger Eindrücke so groß wird, 
dass die Wiederholung des Aehnlichen nicht mehr empfunden werden 
kann, wie im 9/4-Takt oder in andern die Grenze der Uebersichtlichkeit 
überschreitenden Formen1). Durch die Zusammenfügung der Takte zu 
rhythmischen Reihen, der Reihen zu Perioden, endlich der musikalischen 
Perioden zu den Abtheilungen der Melodie kann das rhythmische Gefühl 
auch noch über größere Aufeinanderfolgen ausgedehnt werden. Wie die 
Harmonie, so beruht also auch der Rhythmus auf der leicht überschau¬ 
baren Verbindung der Vorstellungen. Innerhalb der allgemeinen Regel¬ 
mäßigkeit der Succession werden dann durch die verschiedene Taktgliede¬ 
rung, die schnellere oder langsamere Folge der Eindrücke mannigfaltige 
Formen des Gefallens möglich, die sich noch unendlich erweitern, indem 
sie sich in der Melodie mit den Gesetzen der harmonischen Klangverbin¬ 
dung vereinigen. In dem Ganzen der musikalischen Wirkung ist es die 
Harmonie, welche der Gemüthsstimmung ihre Richtung gibt, der Rhythmus, 
welcher das Wechseln und Wogen der Gefühle schildert. 
1) S. 74, Anm. 2. 
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