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Aesthetische Elementargefühle.
rend die eingehende Erörterung der höheren ästhetischen Gefühle einer
psychologischen Aesthetik überlassen bleibt1).
Bei allen Sinnesvorstellungen vollzieht sich die Verbindung der Em¬
pfindungen in dem allgemeinen Rahmen der beiden Anschauungsformen
der Zeit und des Raumes. Auf den Zeit- und Raumverhältnissen der
Vorstellungen beruhen daher auch wesentlich die ästhetischen Elementar¬
gefühle. Das Gehör, als zeiterweckender Sinn, gibt durch die zeitliche
Verbindung seiner Vorstellungen, das Gesicht, als wichtigstes Organ der
Raumanschauung, durch die räumliche Beziehung derselben zu Gefühlen
Anlass, und beide Quellen vereinigen sich in der Bewegung.
1. Harmonie und Rhythmus.
Indem der Gehörsinn theils die gleichzeitigen theils die auf einander
folgenden Eindrücke ordnet, ergeben sich für ihn zwei Grundformen ästhe¬
tischer Gefühle: Harmonie und Rhythmus. Die Harmonie ruht, wie
ausführlich gezeigt wurde, auf einer doppelten, einer metrischen und einer
phonischen Grundlage. Nach dem metrischen Princip sind es die ein¬
fachen Gliederungen der Tonintervalle, nach dem phonischen sind es die
unmittelbar empfundenen oder associativ erregten Beziehungen der
Töne auf eine Klangeinheit, welche die hauptsächlichsten Factoren
des Harmoniegefühls abgeben. Als mannigfach unterstützende Momente
treten hinzu die Verhältnisse der Consonanz, der Dissonanz und der Rauhig¬
keiten des Zusammenklangs2). Bei den höheren Formen der Harmonie¬
wirkung vereinigt sich stets eine große Zahl solcher Einzelwirkungen.
Hierbei kommen ebenso in dem Zusammenklang wie in der melodischen
Folge der Töne namentlich jene Neben intervalle in Betracht, die, den
schwächeren Partialtönen angehörend, je nach der Klangfärbung und der
Vertheilung der Tonmassen in der mannigfaltigsten Weise den harmonischen
Eindruck der Hauptintervalle verändern können3). Indem wir die Analyse
der einzelnen Intervalle, Accorde und Tonfolgen der psychologischen
Aesthetik überlassen, möge hier nur auf das früher erörterte Beispiel der
Dur- und Molldreiklänge nochmals hingewiesen werden4). Der Duraccord,
zusammengehalten durch den als Combinationston wahrgenommenen Grund¬
klang, erscheint unmittelbar als eine Klangeinheit. Der Mollaccord ent¬
behrt dieser Verbindung. An die Stelle des Zusammenhalts durch den
Grundklang tritt aber durch den coincidirenden Oberton eine Art Abschluss
auf der entgegengesetzten Seite der Tonreihe. Dazu kommt als sinnlicher
]) Eine kurze Erörterung derselben folgt unten Absclm. IV, Cap. XVIIJ.
2) Cap. XII, S. 63 ff. 3) Ebend. S. 54 f. 4) Ebend. S. 61, 67 f.