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Gesichtsvorstellungen.
wegungsempfindungen zu untrennbaren Complexen. Was aber die Ge¬
sichtsvorstellungen auszeichnet, ist die Beziehung jener Empfindungscoin-
plexe auf einen einzigen Punkt, das Netzhautcentrum. Dieses Verhältnis
zum Blickpunkt, welches die genaue Ausmessung des Sehfeldes wesentlich
unterstützt und die functioneile Verbindung der beiden Augen zum Dop¬
pelauge erst möglich macht, wurzelt in den Bewegungsgesetzen, unter
denen namentlich das Gesetz der Gorrespondenz von Apperception
und Fixation hier von entscheidender Bedeutung ist. (Vgl. S. 108, 145 f.)
Insofern die Bewegungsgesetze in einem angeborenen centralen Mecha¬
nismus präformirt sind, bringt daher das Individuum eine vollständig ent¬
wickelte Disposition zur unmittelbaren räumlichen Ordnung seiner Licht¬
empfindungen in die Welt mit. Mag aber auch deshalb die Zeit, die
zwischen der Einwirkung der Netzhauteindrücke auf das Auge und der Bil¬
dung der Vorstellung verfließt, unter Umständen verschwindend klein sein,
so ist doch ein bestimmter psychologischer Vorgang anzunehmen, der die
Vorstellung erst verwirklicht. Für das Stattfinden eines solchen Vorgangs
treten alle jene oben besprochenen Thatsachen überzeugend ein, welche
gewisse erst in Folge der individuellen Function actuell werdende Em¬
pfindungen als die bestimmenden Momente der räumlichen Gesichtsvorstel¬
lungen erweisen. Der Process, durch den sich aus diesen Empfindungen
die zusammengesetzte Vorstellung entwickelt, kann, wie bei den Tast¬
vorstellungen, als eine Synthese bezeichnet werden, weil das entstehende
Product Eigenschaften zeigt, welche in dem sinnlichen Material, das zu
seiner Bildung verwandt wurde, nicht unmittelbar enthalten sind. Diese
Synthese besteht wieder in einer Abmessung qualitativ veränderlicher
peripherer Sinnesempfindungen durch die intensiv abgestuften Bewegungs¬
empfindungen. Da jedes Auge nach zwei Hauptrichtungen gedreht werden
kann (Hebung und Senkung, Außen- und Innenwendung), zwischen denen
alle möglichen Uebergänge stattfinden, jeder Stellung aber ein bestimmter
Complex von Tastempfindungen und Localzeichen der Netzhaut entspricht,
so bilden diese zusammen ein qualitatives Localzeichensystem von zwei Di¬
mensionen. Diese Dimensionen sind ungleichartig, weil nach jeder Dichtung
die Localzeichen in anderer Weise sich ändern. Indem nun die Bewegungs¬
empfindungen, welche ein quantitatives Continuum von einer Dimension
bilden, jenes ungleichartige Continuum der Localzeichen nach allen Rich¬
tungen ausmessen, führen sie dasselbe auf ein gleichartiges Continuum
von zwei Dimensionen, also auf eine Raumoberfläche zurück. So ent¬
steht das monoculare Sehfeld, als dessen Hauptpunkt vermöge der
Beziehung der Bewegungsempfindungen und Localzeichen auf das Netz¬
hautcentrum der Blickpunkt erscheint, und dessen allgemeinste Form
wegen der Verschiebungen des Blickpunktes bei der Bewegung die um