Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

Das Stereoskop und die secundären Hülfsmittel der Tiefenvorstellung. 1S1 
verdient übrigens vor dem BREWSTER’schen Stereoskop das von Wheatstone 
ursprünglich construirte Spiegelstereoskop den Vorzug1). Dasselbe besteht 
aus zwei Spiegeln ab und cd (Fig. 185), deren Rückseiten einen Winkel von 90° 
mit einander bilden, aß und yö sind zwei Brettchen, vor welche den Spiegeln 
gegenüber die beiden Zeichnungen gelegt werden. Blickt nun das linke Auge 
in den Spiegel ab, das rechte in den Spiegel cd, so sieht man ein Bild, 
welches einem bei mn gelegenen Object anzugehören scheint. Da aber die 
Spiegel rechts in links verkehren, so müssen die Zeichnungen die entgegen¬ 
gesetzte Lage erhalten wie in dem Prismenstereoskop. Bei einer Lage, bei 
welcher sie in letzterem erhöhtes Relief zeigen, geben sie im Spiegelstereoskop 
vertieftes, und umgekehrt. Für physiologische Versuche ist es wünschens- 
werth, wenn man die Entfernung der Zeichnungen von den Spiegeln variiren 
kann. Zu diesem Zweck ist die Schraube pp' angebracht, durch deren An¬ 
ziehen die beiden Wände a ß und y S den beiden Spiegeln um gleiche Größen 
genähert werden können. Außerdem kann man den Neigungswinkel der bei¬ 
den Spiegel veränderlich machen2). Bringt man nun bei unveränderlichem 
Neigungswinkel der Spiegel die Zeichnungen in wechselnde Entfernungen von 
denselben, so bleibt die Convergenz der Gesichtslinien unverändert, aber die 
Größe der Netzhautbilder wächst, wenn man die Zeichnungen näher rückt, und 
an n 
P 
sie nimmt ab, wenn man dieselben entfernt: dies erweckt den Schein, als ob 
der körperlich gesehene Gegenstand am selben Orte bleibe, aber abwechselnd 
größer und kleiner werde. Lässt man umgekehrt die Zeichnungen unverrückt, 
während der Neigungswinkel der Spiegel verändert wird, so verändert sich bei 
gleichbleibender Große der Netzhautbilder die Convergenz der Gesichtslinien : 
wird der Winkel zwischen den Spiegeln stumpfer, so nimmt die Convergenz 
ab, wird der Winkel spitzer, so nimmt sie zu. Im ersten Fall vermehrt sich 
die scheinbare Entfernung der Bilder, im zweiten Fall vermindert sie sich. 
Hierbei bemerkt man dann stets, dass die scheinbare Große des Gegenstandes 
sich im gleichen Sinne verändert, was der Erfahrung entspricht, dass bei 
gleichbleibendem Gesichtswinkel ein Gegenstand um so größer erscheint, in je 
größere Entfernung wir ihn verlegen. 
Die oben entwickelte Theorie des binocularen Einfachsehens gewinnt eine 
t) AVheatstone, Poggendorff’s Annalen, 4 842, Ergänzungsband S. 9. 
2) Letzteres lässt sich auch dadurch ersetzen, dass man, wie es H. Meyer gethan 
hat, die Rahmen der beiden Zeichnungen in der Fläche drehbar macht. (Poggendorff’s 
Annalen, LXXXV, S. 4 98.)
	        
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