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Gesichtsvorstellungen.
zum Horizont abfällt. Dieser Form fügt sich aber nicht bloß das unendlich
entfernte Himmelsgewölbe, sondern auch eine nähere Fläche, die wir bei auf¬
wärts gekehrtem Blick betrachten. Die ebene Decke eines größeren Zimmers
z. B. oder das Laubdach eines ebenen Waldwegs sieht man sich zum Horizont
senken, ebenso wie die Bodenebene zu demselben ansteigen. Bei der zweiten
Hauptrichtung des Sehens sind die in dem Horopterkreis gelegenen Gegenstände
in Bezug auf ihre deutliche Auffassung begünstigt. Diese Hauptrichtung geht
von einer fest betimmten Lage der Yisirebene, der Primärlage, aus, in der
dann bei gleich bleibendem Convergenzwinkel der Blick nach rechts und links
gewendet werden kann, während die Bilder der in jenem Kreis gelegenen
Objecte sich fortwährend über correspondirende Stellen der Netzhauthorizonte
bewegen. In diesem Falle ist die Thatsache entscheidend, dass nähere Gegen¬
stände, die wir in horizontaler Richtung mit dem Blick ausmessen, vorzugs¬
weise unter dem Horizont gelegen sind, also mit gesenktem Blick beobachtet
werden. Der Horizont selbst bildet die obere Grenze solcher Horizontaldistanzen:
er fordert aber im allgemeinen eine Parallelstellung der Augen. Nachdem so
durch die Verhältnisse des gewöhnlichen Sehfeldes die geneigte Lage der Pri¬
märstellung gefordert ist, wählen wir diese dann auch unwillkürlich bei solchen
Beschäftigungen, bei denen es uns, wie beim Lesen und Schreiben oder bei
feinen mechanischen Arbeiten, auf eine besonders genaue Auffassung in der
horizontalen Sehrichtung ankommt. Dabei ist freilich nicht zu übersehen,
dass auch die Muskeln unserer Arme und Hände in einer Weise eingerichtet
und eingeübt sind, die eine solche Haltung des Auges verlangt. Auch hier
sind es also wieder mannigfaltige Bedingungen, welche nach einem Ziele Zu¬
sammenwirken.
In asymmetrischen Convergenzstellungen außerhalb der Primärlage gibt
es zwar ebenfalls noch eine Horopterlinie. Letztere ist aber in diesem Fall
eine Curve doppelter Krümmung, welche durch den Schnitt zweier Hyperboloide
entsteht. Es liegt keine Wahrscheinlichkeit vor, dass diese Linie für das Sehen
irgend eine Bedeutung habe. Die genannten Augenstellungen verhalten sich
daher in dieser Beziehung nicht anders, als wenn der Blickpunkt der einzige
correspondirende Punkt wäre. Begünstigte Richtungen des Sehens kann es hier
nicht geben, da die Horoptercurve in keinem Fall mehr eine durch den Blick¬
punkt gehende Linie ist. Nach dem LiSTiNG’schen Gesetze sind, wie wir ge¬
sehen haben, in der Primärlage alle Richtungen des Sehens dadurch bevorzugt,
dass in ihnen die Orientirung des Auges bei der Bewegung des Blicks constant
bleibt. Jede in der Primärlage durch den Fixationspunkt gehende Gerade
verschiebt sich bei der Bewegung im Netzhautbild des einzelnen Auges in sich
selber. Beim binocularen Sehen werden diese begünstigten Richtungen auf
die zwei Hauptrichtungen reducirt. Dabei haben jedoch, wie es scheint, die
bei den Convergenzstellungen eintretenden Abweichungen vom LiSTiNGschen Ge¬
setze die Bedeutung, dass sie eine zweite tiefere Primärlage speciell für das
Sehen in der Nähe hervorbringen.
Indem die Einflüsse, welche die constantere Zuordnung der correspondi-
renden Punkte bedingen, und diejenigen, welche von der variabeln Auffassung
des Sehfeldes ausgehen, neben einander zur Geltung kommen, bildet sich im
allgemeinen eine Neigung aus, solche Bilder beider Netzhäute, die sich in Form