Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

168 
Gesichtsvorstellungen. 
zum Horizont abfällt. Dieser Form fügt sich aber nicht bloß das unendlich 
entfernte Himmelsgewölbe, sondern auch eine nähere Fläche, die wir bei auf¬ 
wärts gekehrtem Blick betrachten. Die ebene Decke eines größeren Zimmers 
z. B. oder das Laubdach eines ebenen Waldwegs sieht man sich zum Horizont 
senken, ebenso wie die Bodenebene zu demselben ansteigen. Bei der zweiten 
Hauptrichtung des Sehens sind die in dem Horopterkreis gelegenen Gegenstände 
in Bezug auf ihre deutliche Auffassung begünstigt. Diese Hauptrichtung geht 
von einer fest betimmten Lage der Yisirebene, der Primärlage, aus, in der 
dann bei gleich bleibendem Convergenzwinkel der Blick nach rechts und links 
gewendet werden kann, während die Bilder der in jenem Kreis gelegenen 
Objecte sich fortwährend über correspondirende Stellen der Netzhauthorizonte 
bewegen. In diesem Falle ist die Thatsache entscheidend, dass nähere Gegen¬ 
stände, die wir in horizontaler Richtung mit dem Blick ausmessen, vorzugs¬ 
weise unter dem Horizont gelegen sind, also mit gesenktem Blick beobachtet 
werden. Der Horizont selbst bildet die obere Grenze solcher Horizontaldistanzen: 
er fordert aber im allgemeinen eine Parallelstellung der Augen. Nachdem so 
durch die Verhältnisse des gewöhnlichen Sehfeldes die geneigte Lage der Pri¬ 
märstellung gefordert ist, wählen wir diese dann auch unwillkürlich bei solchen 
Beschäftigungen, bei denen es uns, wie beim Lesen und Schreiben oder bei 
feinen mechanischen Arbeiten, auf eine besonders genaue Auffassung in der 
horizontalen Sehrichtung ankommt. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, 
dass auch die Muskeln unserer Arme und Hände in einer Weise eingerichtet 
und eingeübt sind, die eine solche Haltung des Auges verlangt. Auch hier 
sind es also wieder mannigfaltige Bedingungen, welche nach einem Ziele Zu¬ 
sammenwirken. 
In asymmetrischen Convergenzstellungen außerhalb der Primärlage gibt 
es zwar ebenfalls noch eine Horopterlinie. Letztere ist aber in diesem Fall 
eine Curve doppelter Krümmung, welche durch den Schnitt zweier Hyperboloide 
entsteht. Es liegt keine Wahrscheinlichkeit vor, dass diese Linie für das Sehen 
irgend eine Bedeutung habe. Die genannten Augenstellungen verhalten sich 
daher in dieser Beziehung nicht anders, als wenn der Blickpunkt der einzige 
correspondirende Punkt wäre. Begünstigte Richtungen des Sehens kann es hier 
nicht geben, da die Horoptercurve in keinem Fall mehr eine durch den Blick¬ 
punkt gehende Linie ist. Nach dem LiSTiNG’schen Gesetze sind, wie wir ge¬ 
sehen haben, in der Primärlage alle Richtungen des Sehens dadurch bevorzugt, 
dass in ihnen die Orientirung des Auges bei der Bewegung des Blicks constant 
bleibt. Jede in der Primärlage durch den Fixationspunkt gehende Gerade 
verschiebt sich bei der Bewegung im Netzhautbild des einzelnen Auges in sich 
selber. Beim binocularen Sehen werden diese begünstigten Richtungen auf 
die zwei Hauptrichtungen reducirt. Dabei haben jedoch, wie es scheint, die 
bei den Convergenzstellungen eintretenden Abweichungen vom LiSTiNGschen Ge¬ 
setze die Bedeutung, dass sie eine zweite tiefere Primärlage speciell für das 
Sehen in der Nähe hervorbringen. 
Indem die Einflüsse, welche die constantere Zuordnung der correspondi- 
renden Punkte bedingen, und diejenigen, welche von der variabeln Auffassung 
des Sehfeldes ausgehen, neben einander zur Geltung kommen, bildet sich im 
allgemeinen eine Neigung aus, solche Bilder beider Netzhäute, die sich in Form
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.