Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Gesichtsvorstellungen. 
Es gibt freilich Thiere, bei denen sogleich nach der Geburt Gesichtsvor¬ 
stellungen vorhanden scheinen. Aber der centrale Mechanismus der Inner¬ 
vation ist schon in dem Embryo angelegt. Wenn also zwischen ihm und 
der Bildung der Wahrnehmungen ein Causalverhältniss existirt, wie nicht 
zu verkennen, so müssen bei der individuellen Entwicklung die Gesetze 
der Innervation das Bedingende, die Vorstellungen das Bedingte sein. Da¬ 
gegen ist es allerdings wahrscheinlich, dass bei der Entwicklung der Art 
umgekehrt die centralen Vorrichtungen für die Innervation des Doppelauges 
unter der Leitung der Gesichtsw7ahrnehmungen sich ausgebildet haben. 
Bei den meisten Thieren sind, wie schon J. Müller1) bemerkt hat, die 
beiden Augen in functioneller Beziehung unabhängiger von einander als 
beim Menschen, weil ihnen ein gemeinsames Gesichtsfeld fehlt, oder weil 
dasselbe von beschränkterer Ausdehnung ist. Thiere mit vollkommen seit¬ 
lich gestellten Augen sehen daher auch nicht gleichzeitig mit beiden, son¬ 
dern abwechselnd mit dem einen und andern. Deshalb sind hier die 
Augen in Bezug auf ihre motorische Innervation unabhängiger von ein¬ 
ander2). In der Entwicklung der Art werden also erst mit der Ausbildung 
eines gemeinsamen Gesichtsfeldes die centralen Vorrichtungen zu gemein¬ 
samer Innervation entstanden sein. Diese Vorrichtungen haben nun, wie 
der Einfluss der Lichteindrücke auf die Bewegungen des Auges lehrt, die 
nächste Aehnlichkeit mit den Apparaten, w'elche die gewöhnliche Reflex¬ 
bewegung beherrschen; sie sind aber mit einer viel genaueren Regulation 
verbunden als der gewöhnliche Reflexmechanismus des Rückenmarks. Die 
Beobachtung zeigt nämlich, dass von jedem Lichteindruck ein gewisser 
Antrieb zur Bewegung des Auges ausgeht. Es bedarf bekanntlich be¬ 
sonderer Anstrengung und Uebung, einen imaginären Blickpunkt zu 
wählen, d. h. einen solchen, dem kein reeller Objectpunkt entspricht. 
Zwischen den Netzhauteindrücken und der Blickbewegung muss also eine 
Beziehung bestehen, welche dem Reflex verwandt ist. In der That han¬ 
delt es sich hier offenbar um einen jener complicirten Reflexvorgänge, als 
deren Centren wir die Hirnganglien, namentlich Seh- und Vierhügel, er¬ 
kannt haben. Die nächste Analogie hat diese Lenkung der Augenbewe¬ 
gungen durch die Lichteindrücke mit der Beziehung der Ortsbewegungen 
zu den Tastempfindungen. Nur scheint beim Auge die Verbindung eine 
noch festere, darum dem einfachen Reflex verwandtere zu sein, ähnlich 
wie auch die bilaterale Symmetrie der Bewegungen strenger eingehalten 
ist als an den Organen der Ortsbewegung. Man gebe dem Doppelauge 
1) A. a. O. S. 99 f. 
2) Dies lässt sich z. B. sehr deutlich am Chamäleon wegen seiner hervorstehenden 
Augen beobachten: während sich das eine nach oben oder vorn wendet, kann das 
andere nach unten oder hinten gerichtet sein, u. s. w.
	        
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