Wahrnehmung bewegter Objecte.
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die Gegenstände fixirend verfolgt. Wenn nun Auge und gesehenes Object
gleichzeitig wandern, so ist eine richtige Auffassung der äußern Bewegung
nur möglich, falls wir uns der Geschwindigkeit unserer Augenbewegung
fortdauernd bewusst bleiben. Im entgegengesetzten Falle müssen Täuschun¬
gen eintreten. Am häufigsten sind dieselben bei passiven Bewegungen des
Körpers. Hier wird mit dem ganzen Körper auch das Auge bewegt; aber da
uns keine Muskelanstrengung von dieser Bewegung Kunde gibt, so können
wir leicht die Verschiebung der Netzhautbilder auf eine Bewegung der
äußern Gegenstände beziehen. Diese Täuschung tritt hauptsächlich dann
ein, wenn die Geschwindigkeit der passiven Bewegung diejenige unserer
gewohnten eigenen Ortsbewegungen erheblich übertrifft. Bei rascher Wagen¬
oder Eisenbahnfahrt zeigt sich deshalb die Scheinbewegung am stärksten
an nahe gelegenen Gegenständen, während wir weiter entfernte als ruhend
auffassen. In der Regel theilt sich hierbei die Bewegungsvorstellung
zwischen dem ruhenden und dem bewegten Objecte. So stellen wir bei
rascher Fahrt uns selbst mäßig bewegt vor, während wir den äußern
Gegenständen eine entgegengesetzte Bewegung geben. Sitzt man am Strand
der See auf einem Stuhl, der von den Wogen umspült wird, so glaubt
man, wenn die Welle gegen den Strand dringt, gleichzeitig selber nach
der hohen See hin bewegt zu werden. Sobald dagegen die Welle zurück¬
geht, glaubt man umgekehrt selbst nach dem Strande zurückzufahren.
Alle diese Scheinbewegungen beruhen auf der Relativität der Be¬
wegungsvorstellungen. Wir nennen denjenigen Gegenstand ruhend,
der sein Lageverhältniss zu uns selbst nicht wechselt. Wenn nun zwei
Gegenstände ihre gegenseitige Lage im Raume ändern, so erscheint uns
derjenige bewegt, dessen Netzhautbild sich verschiebt, oder zu dessen
Fixation wir der verfolgenden Augenbewegung bedürfen. Die Entschei¬
dung ist daher leicht und meistens sicher, wenn nur das eine von zwei
betrachteten Objecten sein Lageverhältniss zu uns ändert, das andere
ruhend bleibt. Immerhin sind auch hier Täuschungen möglich, falls die
Bewegung verhältnissmäßig langsam geschieht, wo uns die verfolgende
Blickbewegung entgehen kann. Wenn z. B. des Abends Wolken am Monde
vorüberziehen, so können wir diese Bewegung auf den Mond übertragen,
der uns nun in entgegengesetzter Richtung vorüberzuziehen scheint,
während die Wolken stille stehen. Bei dieser Täuschung wirkt der Um¬
stand mit, dass wir geneigter sind kleinere Gesichtsobjecte für bewegt zu
halten als größere, eine Neigung, welche sich nur aus der Mehrzahl von
Erfahrungen, die für diesen Fall sprechen, erklären lässt. Viel leichter
noch treten derartige Täuschungen ein, wenn beide gegen einander bewegte
Objecte ihre relative Lage zu uns ändern. So wird die vorige Erscheinung
lebhafter, wenn wir uns selber bewegen. Am unsichersten ist aber