Begriff und Hauptformen der Vorstellungen.
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wir auch den Schalleindruck in der Regel auf einen Ort beziehen, von
welchem er ausgeht. Aber da wir auf diese Beziehung nicht immer Werth
legen, so kann sie auf kürzere oder längere Zeit unserem Bewusstsein
verloren gehen. Dies geschieht namentlich dort, wo die Klangvorstellungen
zu einem Vehikel ästhetischer Wirkungen werden, indem sie den zeitlichen
Verlauf unserer eigenen inneren Zustände schildern.
Wie in eine zeitliche, so bringen wir alle unsere Vorstellungen zu¬
gleich in eine räumliche Ordnung. Aber, ähnlich wie für das Gehör, so
bleibt dieselbe für Geruch, Geschmack und Gemeingefühl wenig entwickelt.
Bei diesen Sinnen besteht die einzige räumliche Beziehung in einer unvoll¬
kommenen Localisation der Empfindungen, die überall erst in Anlehnung
an die ausgebildeteren räumlichen Sinne geschieht. Hier sind es dann die
Gesichtsvorstellungen, welchen eine eminente Bedeutung für die
Ausbildung der räumlichen Auffassung der Außenwelt zukommt.
Während so Auge und Ohr in die zwei Formen sich theilen, in denen
unser Bewusstsein die Welt und ihren Lauf anschaut, treten uns in den
Tast- und Bewegungsvorstellungen beide Arten der Anschauung
in vollständiger Vereinigung entgegen. Wegen ihrer gleichförmigen Em¬
pfindungsgrundlage sind diese Vorstellungen wenig mannigfaltig. Von ein¬
ander sondern lassen sie sich nicht. Denn die mit Tastsinn begabten Theile
werden nur durch ihre Beweglichkeit zur Auffassung der Eindrücke ge¬
eignet, und die Bewegung der Glieder führt nur unter Mithülfe der Tasl-
empfindlichkeit der Haut zur Wahrnehmung der Bewegung. In den Tast-
und Bewegungsvorstellungen sind nun Zeit- und Baumanschauung verbunden.
Jede Bewegung wird aufgefasst als eine zeitliche Succession, und zugleich
entsteht damit das Bild der zurückgelegten Raumstrecke. So bilden die
Tast- und Bewegungsvorstellungen die Grundlage zu allen anderen Sinnes¬
vorstellungen. Was in ihnen noch ungetrennt liegt, das bildet sich in den
zwei höheren Sinnen nach verschiedener Richtung aus. Wir werden daher
auch hier zu der Ansicht hingeführt, welche die genetische Betrachtung des
Thierreichs bestätigt, dass sich jene höheren Sinne, die schon vermöge der
einseitigen Entwicklung ihrer Vorstellungen den Namen von Special¬
sinnen verdienen, aus dem allgemeinen Tastsinn entwickelt haben1).
Die zeitliche und die räumliche Form der Anschauung sind in der Vor¬
stellung der Bewegung vereinigt. Nun haben wir schon bemerkt, dass
die Bewegungsvorstellungen insofern einen centralen Ursprung haben, als sie
unmittelbare Folgen der motorischen Innervation sind, und als daher ihre
Erinnerungsbilder untrennbare Bestandtheile der Willensacte selbst bilden 2).
Demnach ist denn auch die erste Grundlage der Zeit- und Rauman-
\) Vgl. 1, S. 297.
2) I, S. 404 ff.