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Gesichtsvorstellungen.
Abweichungen vom Weber’s eben Gesetze ordnen sich dann einfach jenen
Abweichungen unter, welche allgemein im Gebiet der Intensitätsmessung
der Empfindung stattfinden. Außerdem empfängt diese Auffassung ihre
Bestätigung durch Beobachtungen über die Genauigkeit der Unterscheidung
unserer Augenbewegungen. Man blicke durch einen in einem aufrecht
stehenden Brett angebrachten horizontalen Schlitz mit beiden Augen nach
einer weißen Wand in der Ferne. Zwischen dieser und den Augen werde
ein vertical aufgehängter und durch ein Gewicht gespannter schwarzer
Faden hin- und hergeschoben. Derselbe befinde sich in der Medianebene,
so dass sich die beiden Augen in symmetrischer Gonvergenz auf ihn ein¬
stellen. Man bestimmt nun in den verschiedensten Distanzen vom Auge
durch kleine Verschiebungen des Fadens diejenige Convergenzänderung,
bei welcher eben die Annäherung oder Entfernung bemerkt wird 1). Die
Resultate solcher Versuche sind in der folgenden kleinen Tabelle enthalten,
in welcher unter S die absolute Entfernung des Fadens vom Beobachter,
unter A die eben merkliche Verschiebung desselben in Centimetern ver¬
zeichnet ist; 5 gibt die zu S gehörigen Werthe des Winkels an, den jede
Gesichtslinie mit der horizontalen Verbindungslinie beider Drehpunkte bil¬
det, a die aus A berechneten kleinen Aenderungen dieses Winkels; die
letzte Reihe v enthält das Verhältniss der eben merklichen Annäherung
zur absoluten Entfernung.
5
s
A
a
V
180
890 2,5'
3,5
68"
Vso
1 70
880 59'
3
66"
l/~
/ 00
160
88° 55,5'
3
73"
754
150
88° 51'
3
85"
V«
130
88° 40,5'
2
74"
Vß4
110
880 26'
2
104"
Vs4
80
870 51 '
2
199"
739
70
870 32,5'
1,5
193"
V45
60
860 84'
1
252"
Vso
Hiernach nimmt mit zunehmender Gonvergenz die absolute Winkel¬
verschiebung der Gesichtslinie, welche noch bemerkt werden kann, be-
1) Wundt, Beiträge zur Theorie der Sinneswahrnehmung, S. 195, 415. Ich habe
diese Versuche, um den Einfluss zu beseitigen, welchen die Verschiebung des Netz¬
hautbildes ausübt, so ausgeführt, dass die Augen, nachdem sie im Moment der Be¬
wegung des Fadens auf kurze Zeit geschlossen waren, immer zuerst auf die entfernte
Wand und dann auf den näher gerückten Faden sich einstellten. Der Umstand, dass
man hierbei einen gegenwärtigen Eindruck mit einem im Gedächtniss zurückgebliebe¬
nen vergleicht, begründet keinen Unterschied mit den Augenmaßversuchen, da bei
diesen die zwei Distanzen ebenfalls durch successive Ausmessung verglichen werden.
In andern Versuchen wurde außerdem der Faden fortwährend fixirt, während die
Annäherung desselben stattfand, ohne dass dabei die Resultate merklich andere
wurden.