Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 2. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (2)

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Gesichtsvorstellungen. 
nähernd gleich, auch wenn die eine weiter entfernt ist als die andere. 
Aber der Fehler, den man bei der Schätzung begeht, ist größer, als wenn 
beide Distanzen eieich weit entfernt sind, und zwar wechselt er bei ver- 
schiedenen Individuen, indem die Einen die nähere, die Andern die ent¬ 
ferntere Distanz größer zu schätzen geneigt sind *). Ferner finde ich, dass 
man den Abstand zweier Punkte, z. B. zweier Cirkelspitzen, ungenauer 
schätzt als die Größe einer Linie. Dies hängt mit einer Erscheinung zu¬ 
sammen, die uns nachher beschäftigen wird, damit nämlich, dass leere 
Abstände im Gesichtsfeld kleiner erscheinen als solche, bei denen dem 
Auge fortwährend Fixationspunkte geboten werden; im letzteren Fall ge¬ 
winnt dann das Augenmaß zugleich an Sicherheit. Will man daher Di¬ 
stanzen gleicher Richtung unter gleichförmigen Bedingungen vergleichen, 
so müssen sie sich \ ) in gleicher Entfernung vom Auge befinden, und 
sie müssen 2) entweder beide in der Form von geraden Linien oder beide 
als Punktdistanzen gegeben sein, wobei zugleich der erstere Fall für die 
Genauigkeit des Augenmaßes der günstigere ist. 
Unter Voraussetzung der obigen Bedingungen lässt sich nun die 
Schärfe des Augenmaßes nach folgenden Methoden bestimmen: 1) man er¬ 
mittelt diejenige Differenz zweier Linien oder Punktdistanzen, bei welcher 
ein Größenunterschied derselben eben merklich wird; 2) man sucht 
die eine Distanz der andern gleich zu machen und bestimmt dann aus einer 
größeren Zahl von Versuchen den mittleren Fehler; 3) man wählt 
die Abstände so, dass ihr Unterschied nicht mehr deutlich zu merken ist, 
und bestimmt wieder in einer Reihe von Beobachtungen die Zahl der rich¬ 
tigen und falschen Fälle. Es bieten sich also auch hier die allge¬ 
meinen psychophysischen Maßmethoden der Untersuchung dar1 2). Diese 
Methoden sind jedoch im vorliegenden Fall meistens nicht rein sondern mit 
eigenthümlichen Modificationen angewandt worden. So bestimmte Volk¬ 
mann die mittlere Abweichung der un ter merklich en Unterschiede von 
ihrem Mittelwerth, ein Verfahren, welches als eine Art Combination der 
Methoden der Minimaländerungen und mittleren Fehler betrachtet werden 
kann3]. Es ergibt sich aus diesen Versuchen, dass das Augenmaß bei der 
Vergleichung geradliniger Abstände von gleicher Richtung innerhalb ge¬ 
wisser Grenzen dem WEBER’schen Gesetze entspricht, dass also der eben 
merkliche Unterschied oder der Werth der mittleren Abweichung, welcher 
dem eben merklichen Unterschied parallel geht, einen constanten Bruch- 
theil der Normaldistanz ausmacht, mit der eine andere verglichen wird. 
/ O 
1) Fechner, Elemente der Psychophysik, II, S. 312. 
2) Vgl. Cap. VIII, I, S. 343 ff. 
3) Vgl. hierüber G. E. Müller, Zur Grundlegung der Psychophysik, 
S. 81 f.
	        
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