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Gesichtsvorstellungen.
einer vom Blickpunkt beschriebenen Curve entsprechen. Nennen wir den¬
jenigen Blickpunkt, welcher der Primärstellung der Gesichtslinie ange¬
hört, den Hauptblickpunkt, so erfolgen von der Primärstellung aus alle
Drehungen so, dass der Blickpunkt größte Kreise beschreibt, die sich im
Hauptblickpunkt durchschneiden. Stellen wir uns das Blickfeld als eine
ganze Kugel vor, so schneiden sich aber diese Kreise, welche man die
Meridiankreise des Blickfeldes nennen kann, noch in einem zweiten
dem Hauptblickpunkt gerade gegenüber liegenden Punkt der Kugelober¬
fläche, dem Occipitalpunkt. Der Hauptblickpunkt und Occipitalpunkt
sind somit entgegengesetzte Endpunkte eines Durchmessers. Die Fig. 152
zeigt diese Eintheilung des Blickfeldes in perspectivischer Ansicht. A ist
das Auge, H der Hauptblickpunkt, 0 der Occipitalpunkt, die Linie HO
liegt, gemäß der Primärstellung, etwas unter der Horizontalebene; durch
H und 0 sind die Meridiankreise gezogen1). Denken wir die letztem vom
Drehpunkt, als dem Mittelpunkt des kugelförmigen Blickfeldes, aus auf
eine Ebene projicirt, welche auf der Primärstellung der Gesichtslinie senk¬
recht steht, so bilden sie sich hier als gerade Linien ab, welche sich im
Fixationspunkte durchschneiden; die horizontale dieser Linien entspricht
dem Netzhauthorizont. Wir wollen diese Projection das ebene Blick¬
feld und die geraden Linien, welche in ihm als Projectionen der Meridian¬
kreise vom Hauptblickpunkte auslaufen, die Richtlinien nennen.
Wenn sich nun das Auge von der Primärstellung aus dreht, so muss
sich die Gesichtslinie in Meridiankreisen oder auf dem ebenen Blickfeld
in Richtlinien bewegen. Hierbei bleibt nach dem LiSTixuschen Gesetz das
gegenseitige Lageverhältniss der Meridiankreise im kugelförmigen Blickfeld
ungeändert. Wenn der Blickpunkt von H zuerst auf a und dann auf b
(Fig. 152) übergeht, so kommt beim zweiten Act dieser Bewegung der
Bogen ab genau auf dieselbe Stelle der Netzhaut zu liegen wie vorher
der Bogen Ha. Denken wir uns das in Fig. 152 dargestellte, der Pri¬
märlage entsprechende Blickfeld fixirt und dann das Sehfeld des ruhenden
Auges in ganz derselben Weise in Meridiankreise getheilt, so dass in der
Primärstellung Blickfeld und Sehfeld zusammenfallen, so können wir uns
vorstellen, bei den Bewegungen verschiebe sich das Sehfeld gegen das
Blickfeld wie eine Kugelschale gegen eine ihr concentrische von nahezu
gleichem Radius. Es verschiebt sich dann bei allen Drehungen von der
1) Um die Lage irgend eines Punktes im Blickfeld oder Sehfeld genau zu be¬
stimmen, kann man dasselbe außer in Meridiankreise noch in Breitekreise ein-
theilen, welche parallel einem die Axe H 0 halbirenden Aequatorialkreise verlaufen.
Es erfolgt dann die Lagebestimmung ganz nach Analogie der geographischen Orts¬
bestimmung. Aber für die Bewegung des Auges haben nur die Meridiankreise eine
Bedeutung, als die Wege, die nach dem LisTiNG’schen Gesetz der Blickpunkt von der
Primärstellung aus einschlägt.