Entstehung des sinnlichen Gefühls.
533
Vordergrund drängt. Der Schmerz aller Organe ist daher ein Bestandteil
des Gemeingefühls1).
Alle jene Gefühle, welche zum Gemeingefühl vereinigt auf misera
eigenen Zustand bezogen werden, bilden in dem Selbstbewusstsein einen
mehr oder minder deutlichen Hintergrund der Stimmung. Von ihnen hängt
es hauptsächlich ab. ob Spannkraft, ruhige Sicherheit, oder ob Schlaffheit,
unruhige Beweglichkeit in unserm geistigen Sein vorherrschen, und die
durchschnittliche Bestimmtheit jener Gefühle bildet einen Hauptfactor für
die Disposition der Temperamente. Man hat wegen dieser innigen Be¬
ziehung der Gemeingefühle zu unserm subjectiven Sein und Befinden die
sinnlichen Gefühle überhaupt als die subjective Seite der Empfindungen
aufsefasst und sie so der Intensität und Qualität als den objectiven
Bestimmungen derselben gegenübergestellt2 3). Dieser Gegensatz kann aber
unmöglich ein ursprünglicher sein, da das Selbstbewusstsein, welches erst
jene Unterscheidung vollzieht, aller psychologischen Beobachtung zufolge
ein gewordenes ist. Man müsste also annehmen, das Gefühl sei ebenfalls
nichts ursprüngliches, sondern mit dem Selbstbewusstsein entstanden.
Doch dem widerstreitet einerseits die Thatsache, dass Mensch und Thier
in noch unentwickelten Zuständen unverkennbare lebhafte Gefühlsäuße¬
rungen wahrnehmen lassen, anderseits die Beobachtung, dass die Entwick¬
lung des Selbstbewusstseins sogar wesentlich durch sinnliche Gefühle be¬
stimmt und gefördert wird1).
4. Entstehung des sinnlichen Gefühls.
Während den beiden zuvor betrachteten Bestandtheilen der Empfin¬
dung, der Stärke und der qualitativen Beschaffenheit, bestimmte Eigen¬
schaften des physischen Beizungsvorganges parallel gehen, lässt sich lür
den Gefühlston eine ähnliche objective Grundlage nicht unmittelbar auf¬
finden. Die Folgerung liegt daher nahe, dass das Gefühl ein mehr secun-
därer Bestandtheil der Empfindung sei, der erst durch irgend welche
Wirkungen entstehe, die den Empfindungen vermöge ihrer qualitativen und
intensiven Beschaffenheit zukommen.
Diese Folgerung hat vor allem in zwei Anschauungen über das Wesen
der Gefühle ihren Ausdruck gefunden, welche zugleich die hauptsächlich¬
sten Gegensätze andeuten, zwischen denen sich die Theorie der Gefühle
bewegt hat. Die eine dieser Anschauungen betrachtet die Gefühle als
1) Vgl. hierzu Cap. IX, S. 4 09.
2) George, Lehrbuch der Psychologie. Berlin 1854, S. 70.
3) Siehe Abschnitt IV, Cap. XV.