Abhängigkeit des sinnlichen Gefühls vom Gesammtzustand des Bewusstseins. 529
Trauer, imponirender Würde erwecken, ebenso wie die hochrothe Beleuch¬
tung an Flammenschein, das Gelb an strahlenden Sonnenglanz, das satte
Grün an die befriedigte Ruhe der grünen Natur erinnert. Trotzdem ist
Association wahrscheinlich nirgends das eigentlich begründende Element
des Gefühls, sondern sie kann das letztere nur in der ihm durch die ur¬
sprüngliche Natur der Empfindung einmal angewiesenen Richtung ver¬
stärken, unter Umständen ihm wohl auch eine speciellere Form und Rich¬
tung anweisen. Am deutlichsten erhellt dies in jenen Fällen, wo die
Association selbst auf eine ursprüngliche Gefühlsbetonung der Empfindung
zurückwmist. Schwarz ist eben die Farbe der Trauer, die Orgel dient zum
Ausdruck ernster Feier, weil den Empfindungen der entsprechende Cha¬
rakter innewohnt. Die Sitte, an welche sich unsere Association knüpft,
ist hier selbst nur durch das Gefühl gelenkt worden. Für unsere an Ur¬
sprünglichkeit des Gefühls etwas verarmte Entwicklungsstufe liegt vielleicht
eine wichtige Auffrischung in solchen Associationen, die den Empfindungen
nachträglich eine Stärke der Gefühlsbetonung verleihen, welche der Natur¬
mensch in der eigenen Beschaffenheit der Empfindung schon gefunden
hatte. In andern Fällen liegt eine innere Beziehung der Association zur
ursprünglichen Bedeutung des Gefühls nicht so offen zu Tage, so z. B.
wenn die Vorstellung der grünen Natur die ruhige Stimmung des Grün,
die Erinnerung an den belebenden Sonnenschein den erregenden Gefühlslon
des Gelb verstärkt. Will man hier trotzdem, wie es, abgesehen von der
unmittelbaren Farbenwirkung schon die Analogie mit den übrigen Empfin¬
dungen fordert, einen ursprünglichen Gefühlston der Empfindung annehmen,
so könnte man in dieser Verstärkung durch Association ein Beispiel merk¬
würdiger Harmonie zwischen unsern Empfindungen und der äußern Natur
erkennen. In der That lässt sich gegen diese Auffassung im Grunde
nichts einwenden. Nur wäre es ungerechtfertigt, eine solche Harmonie
auf eine prästabilirte Ordnung ohne nähere Ursache zurückzuführen. Dass
unser Sehorgan den äußern Lichteindrücken angepasst ist, und dass daher
solche Farben, die auf die Dauer unser Auge ermüden, wie das Roth und
Violett, nicht allverbreitet in der Natur Vorkommen, hat zweifelsohne seine
wohlbegründeten Ursachen. Wenn wir das menschliche Sehorgan als
Product einer Entwicklung ansehen, bei der das Princip der Anpassung
der Organismen an ihre Naturumgebung wirksam gewesen ist, so begreift
es sich einigermaßen, dass seine Reizempfänglichkeit theils für solche Wellen¬
längen, die aus allen möglichen andern gemischt sind, also für weißes Licht,
theils für solche, die ungefähr in der Mitte der sichtbaren Farben liegen,
also namentlich für Grün, am größten geworden ist. Hiernach ist es über¬
haupt wahrscheinlich, dass der Gefühlston zu der physiologischen Reiz¬
barkeit der Sinnesorgane in einer gewissen Beziehung steht. Grün und
Wundt, Grundzüge. 3. Auf. 34