524
Gefühlston der Empfindung.
lieh dadurch, dass sie, wie die Farbenempfindungen eine in sich zurückkehrende
Linie bilden, so auch zwei Uebergänge des Gefühlstones enthält, obzwar bei
den Farben selbst wie bei den Tönen nur ein einziger Gegensatz der Stim¬
mung existirt, der einerseits im Gelb , anderseits im Blau am stärksten aus¬
geprägt zu sein scheint. Dieser Gegensatz ist der der Lebhaftigkeit und der
Ruhe. Es ist eigentümlich, dass wir uns gerade bei den Farben, bei denen
doch die Bewegung oder zeitliche Dauer nicht in der Weise wie bei den Tönen
für das Gefühl mitbestimmend wird, zu diesen von der Bewegung entliehenen
Bezeichnungen gedrängt sehen. Zwischen dem Gelb und dem Blau gibt es aber
zwei Uebergänge: der eine durch das Grün, der andere durch die röthlichen
Farbentöne, das eigentliche Roth, Purpur und Violett. Beide Uebergänge haben
nun eine sehr verschiedene Bedeutung für das Gefühl. In dem Roth und den
ihm verwandten Farben ist die Bewegung des Gelb und die Ruhe des Blau zu
einem zwischen Bewegung und Ruhe hin- und herwogenden Zustand der Un¬
ruhe geworden. Diese Vermittlung durch den Zwiespalt ist am deutlichsten
in den blaurothen Farbentönen, wie im Violett, repräsentirt. Das Grün da¬
gegen drückt ein wirkliches Gleichgewicht aus. Im Vergleich mit dem erstar¬
renden Blau und dem erregenden Gelb verbreitet es ein befriedigendes Ruhe¬
gefühl. Für den Gefühlston hat also der doppelte Uebergang der Farbenreihe
seine Bedeutung darin, dass der eine, der durch die Mischfarbe des Purpur,
die Gegensätze zu einem dissonirenden Gefühle mischt, der andere, der durch
das einfache Grün, sie in ein harmonisches Gleichgewicht setzt. So hat auch
diese doppelte Ausgleichung in einer allgemeinen Eigentümlichkeit des Gefühls
ihren Grund, die schon bei der Klangwirkung, wenngleich hier in anderer Wreise,
zur Geltung kommt: nämlich in der Existenz zwiespältiger oder dis so¬
tt ir en der Gefühle. Zwischen je zwei Gegensätzen des Gefühls gibt es einen
Indifferenzpunkt der Gleichgültigkeit ; gewissen Gemütszuständen ist es aber
eigen, dass in ihnen das Gefühl fortwährend zwischen jenen beiden Gegensätzen
hin- und herschwankt. Das ruhige Beharren auf dem Indifferenzpunkt ist ein
stabiles, das unruhige Oscilliren zwischen beiden Lagen ein labiles Gleich¬
gewicht des Gemüths. Es gibt vielleicht keine zwei Gefühlsgegensätze, zwischen
denen nicht solche Zustände des labilen Gleichgewichts Vorkommen. Aber
hauptsächlich sind die Zustände dieser Art an solche Empfindungen gebunden,
welche die Bedingungen zu einem Contrast des Gefühls unmittelbar in sich
tragen. So geben unter den Klängen vorzugsweise jene einer zwiespältigen
Stimmung Ausdruck, deren eigenihümliche Klangfarbe auf dem Nebeneinander
tiefer Grundtöne und hoher Obertöne beruht. Aehnlich verhält es sich mit
den Farbeneindrücken. Während das reine Grün die Farben, zwischen denen es
den Uebergang bildet, in sich nicht mehr neben einander enthält, ist das Violett
und der angrenzende Theil des Purpur deutlich aus Blau und Roth, also aus
Farben von contrastirendem Gefühlston gemischt. Bringen wir hiernach die
einfachen Farben mit den einfachen Tonen in Parallele, so begegnet uns in
Bezug auf den ihnen behvolinenden Gefühlston der nämliche Unterschied, der
sich in der reinen Qualität der Empfindungen darstellte. Zwar existirt bei den
Farben, wie bei den Tönen, nur ein einziges Gegensatzpaar, aber da zwischen
den Gliedern dieses Gegensatzes zw^ei Uebergänge möglich sind, einer, der den
Gegensatz in einem einfachen Zwischengefühl aufhebt, und ein zweiter, der
denselben durch ein eontrastirendes Gefühl vermittelt, so kann die Reihe der
einfachen Gefühle nicht mehr durch eine gerade Linie sondern nur durch eine