Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Gefühlston der Empfindung. 
die geradzahligen Obertöne hervorgehoben, so entsteht eine eigentümlich leere 
und klimpernde Klangfarbe. Beiden Arten von Klängen, denen mit ungerad- 
zahligen wie denen mit geradzahligen Obertönen, scheint etwas zu fehlen, wenn 
man sie mit dem vollen, abgerundeten Klang solcher Instrumente vergleicht, dieT 
wie z. B. die Zungenpfeifen der Orgel, alle Obertöne in mit ihrer Höhe abneh¬ 
mender Stärke hervorbringen, daher auch solche in ihrer Klangfarbe einseitige 
Instrumente hauptsächlich in der Orchestermusik zur Anwendung kommen, wo 
sie in begleitenden Klängen anderer Färbung ihre Ergänzung finden. Nicht 
minder ungenügend erscheint uns die Wirkung jener musikalischen Klänge, 
denen alle Obertöne fehlen, die also dem reinen Ton sich annähern, wie 
dies z. ß. bei den Klängen der Labialpfeifen der Orgel und der Flöte der Fall ist* 1). 
Solche Klänge eignen sich zwar durch ihre gleichmäßige Ruhe mehr als alle 
andern zur sinnlichen Grundlage einfacher Schönheit, aber es fehlt ihnen durchaus 
die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks, die eine wesentliche Bedingung ästhetischer 
Wirkung ist2). Die ruhige Befriedigung des einfach Schönen kommt da erst zur 
vollen Geltung, wo sich solche aus dem Widerstreit mannigfacher Gemüths- 
bewegungen entwickelt. Hierin liegt wohl das Geheimniss der Thatsache, dass 
bei allen Instrumenten mit scharf ausgesprochener Klangfarbe das Solospiel seinen 
größten Erfolg dann erringt, wenn es ihm gelingt die Klangfarbe fast ganz zu 
überwinden, indem es dem widerstrebenden Werkzeug die Reinheit des ein¬ 
fachen Tons entlockt. Aber der Zauber des Spiels verschwindet sogleich, wenn, 
wie bei der Flöte, das Instrument von selbst und in unveränderlicher Weise 
die einfachen Töne hervorbringt. Die Alten scheinen in dieser Beziehung an¬ 
ders gefühlt zu haben als die Neueren: ihnen, denen die Flöte das preiswür¬ 
digste Instrument schien, war auch hier das einfach Schöne für sich genug; 
wir verlangen, dass es sich erst aus dem Conflict widerstrebender Gefühle 
herausarbeitet ; den Neueren gilt daher die Violine als die Königin der Instru¬ 
mente. Bei ihr treffen alle Bedingungen zusammen, um sie zum Ausdrucks¬ 
mittel der mannigfachsten Stimmungen zu befähigen: ein bedeutender Umfang 
der Tonhöhen, die größte Abstufung der Klangstärke verbunden mit der Mög¬ 
lichkeit den Ton langsam oder rasch an- und abschwellen zu lassen, endlich 
die verschiedensten Schattirungen der Klangfärbung je nach Ort und Art des 
Anstrichs. Kein Instrument folgt so unmittelbar wie sie der Gemüthsbewegung 
des vollendeten Spielers. Nicht den kleinsten Theil an der Schätzung dieses 
Instrumentes hat aber die Schwierigkeit, ihren Saiten in vollkommener Reinheit 
den einfachen Ton zu entlocken, bei welchem unser Gefühl befriedigt zu 
ruhen strebt. 
Der Gefühlston der Lichtempfindungen ist theils vom Farbenton 
theils von der Lichtstärke und Sättigung abhängig. Hiernach bilden die 
Qualitäten des Gefühls eine Mannigfaltigkeit, welche sich in einer durchaus 
bei den tiefsten Tönen werden mehr die Obertöne gehoben. (Vgl. Zamminer, Die Musik 
und die musikalischen Instrumente. Gießen 1 855, S. 12, 36.) 
1) Helmholtz, Tonempfindungen, 3. Aufl., S. 321. 
2) Natürlich schließt dies nicht aus, dass solche reine obertonfreie Klänge für 
einzelne musikalische Zwecke in bevorzugter Weise geeignet sein können. Zumeist 
ist es dann gerade der Gegensatz zu den volleren Klängen, dem sie, als Symbole voll¬ 
endeter Reinheit der seelischen Stimmungen, ihre Wirkung verdanken.
	        
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