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Qualität der Empfindung.
vorauszusetzen, dass der physiologische Vorgang der farblosen Lichterregung
überhaupt bei jeder Lichtreizung vorhanden sei. und dass derselbe nur
unter besonderen Bedingungen, bei Beschränkung des Reizes auf bestimmte
Wellenlängen und auf gewisse mittlere Intensitäten, sich zugleich mit der
farbigen Lichtreizung verbinde. Die farblose Lichtempfindung gleicht in
dieser Beziehung der Geräuschempfindung; nur ist die letztere wegen der
analysirenden Fähigkeit des Ohres stets unmittelbar als eine von dem Klang
verschiedene Empfindung wahrzunehmen. Doch besteht eine weitere Ana¬
logie beider darin, dass auch die Farbenempfindung höchst wahrscheinlich
Product einer Entwicklung ist, indem die unvollkommeneren Sehorgane
wohl nur zur Unterscheidung von Helligkeitsgraden geeignet sind.
Für die Theorie der farbigen Lichterregung kommt nun, bei unserer
geringen directen Kenntniss der Netzhautvorgänge, hauptsächlich I) die
Verwandtschaft der Anfangs- und Endfarbe des Spektrums und 2) die
ebenfalls aus der Empfindung bekannte Thatsache in Betracht, dass je
zwei Wellenlängen von hinreichender Verschiedenheit sich in Bezug auf
die farbige Erregung compensiren, so dass nur die alle Lichtreizungen
begleitende farblose Erregung zurückbleibt. Beide Thatsachen lassen sich
insofern in einen gewissen Zusammenhang bringen, als aus der subjec-
tiven Verwandtschaft von Roth und Violett auf die Aehnlichkeit der ent¬
sprechenden Erregungsvorgänge zu schließen ist, und als daher von vorn¬
herein erwartet werden muss, dass diejenigen Wellenlängen, die sich in
Bezug auf farbige Erregung compensiren, in der nach der subjectiven
Verwandtschaft der Farben entworfenen geschlossenen Farbenlinie möglichst
weit von einander entfernt sein werden. Nimmt man hierzu die weitere
Thatsache, dass verschiedene Wellenlängen von geringerer Schwingungs¬
differenz zusammen eine Lichterregung von gleicher Beschaffenheit wie die
zwischen ihnen liegende einfache Wellenlänge hervorbringen, so folgt
daraus das Mischungsgesetz mit Einschluss der drei Grundfarben von
selbst.
Frägt man nun aber ferner, ob diese Data dazu nöthigen, in ähnlichem
Sinne eine Mehrheit specifisch verschiedener Erregungsprocesse vorauszu¬
setzen, wie die farblose Lichterregung als eine von der chromatischen ver¬
schiedene, wenn auch im allgemeinen mit ihr verbundene anzuerkennen
ist, so muss diese Frage, wie ich glaube, mit nein beantwortet werden.
Das Mischungsgesetz ist, wie schon angedeutet wurde, vollständig mit der
jedenfalls nächst liegenden Annahme vereinbar, dass die chromatische Rei¬
zung eine in kleinen für uns nicht näher nachzuweisenden Abstufungen
veränderliche Function der Wellenlänge des objectiven Lichtes, und dass
mit jeder chromatischen zugleich eine achromatische Reizung verbunden
sei. Auch die Erscheinungen der Farbenblindheit enthalten dagegen kei-