Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Qualität der Empfindung. 
Dieselbe Netzhauislelle, die bei schwacher Lichtreizung scheinbar eine ge¬ 
steigerte Erregbarkeit erkennen lässt, zeigt demnach bei starker Licht¬ 
reizung verminderte Erregbarkeit: in beiden Fällen aber wird gemischtes 
Licht in dem zur ursprünglichen Farbe complementären Tone gesehen. 
Offenbar muss daher in Bezug auf die Erregbarkeit für die verschiedenen 
Farbenstrahlen des gemischten Lichtes in beiden Fällen der nämliche Zu¬ 
stand bestehen: auch beim positiv complementären Nachbild muss Er¬ 
müdung für die ursprünglich gesehene Farbe vorhanden sein. Dass trotz¬ 
dem das Nachbild hell auf dunkeim Grunde erscheint, können wir hier 
nur auf den Contrast beziehen, der überhaupt bei diesen Versuchen die 
Helligkeitsverhältnisse von Bild und Umgebung bestimmt. Wird ein 
farbiges Object auf gleichmäßig grauem Grund gesehen, so erscheint durch 
den Contrast das Object heller, der Grund dunkler, als sie in Wirklichkeit 
sind. Hierdurch erklärt es sich denn auch, dass die positiv complemen¬ 
tären Nachbilder nur bei geschlossenem Auge oder im Dunkeln wahrnehm¬ 
bar sind, alsbald aber in negative überspringen, wenn eine stärkere Er¬ 
leuchtung des Gesichtsfeldes eintritt. Durch diesen Wechsel werden nur 
die Bedingungen des Contrastes, keine der sonstigen die Empfindung be¬ 
stimmenden Verhältnisse geändert1). 
Im ganzen beruhen somit die Nachbilderscheinungen hauptsächlich 
auf drei Momenten, die in verschiedenen Fällen bald gemischt, bald von 
einander isolirt zur Geltung kommen: erstens auf dem direct durch den 
Lichtreiz hervorgerufenen Erregungsvorgang, der den Reiz immer merklich 
überdauert, zweitens auf der veränderten Reizbarkeit der Netzhaut, welche, 
nachdem der Erregungsvorgang vorüber ist, eine kürzere oder längere 
Zeit zurückbleibt; dazu kommt dann drittens noch unter bestimmten, unten 
näher zu erörternden Bedingungen der Contrast der Empfindungen. Die 
veränderte Reizbarkeit verursacht unter allen Umständen das comple- 
mentäre Nachbild, sei es negativ oder positiv; das unmittelbare Fort¬ 
wirken der Erregung dagegen kommt als gleichfarbiges Nachbild zur Er¬ 
scheinung, der Contrast bestimmt hauptsächlich die größere oder geringere 
1) Vgl. dio unten folgenden Auseinandersetzungen über den Contrast. Das ganze 
System der Nachbilder lasst sich nach den obigen Unterscheidungen in folgender Ueber- 
sichtstafel darstellen : 
Positive Negative 
Gleichfarbige Complementäre Gleichfarbige Complementäre 
(nicht beobachtet und 
wahrscheinlich unmöglich) 
Erfolgt die Reizung durch weißes Licht, so fallen die Unterabtheilungen der gleich¬ 
farbigen und der complementären Nachbilder hinweg. Häufig werden die Bezeichnun- 
pen positive und gleichfarbige sowie negative und complementäre Nachbilder ohne wei¬ 
teres einander substituirt, ein Sprachgebrauch, der wegen der Existenz der positiv 
complementären Nachbilder vermieden werden sollte.
	        
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