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Qualität der Empfindung.
so ausgeführte Untersuchung zeigt, dass die mit angeborener Farbenblind¬
heit behafteten Individuen, deren Gesammtzahl nach Holmgren’s statistischen
Ermittelungen durchschnittlich zwischen 3 und 6 Proc. der Bevölkerung
zu schwanken scheint, in verschiedene Classen zerfallen, bei denen sich
die Verwechslungen der Farbentöne wieder sehr abweichend verhalten.
Von einer ersten Classe, welche die weitaus zahlreichste ist, werden Roth
und Grün mit einander und mit Grau verwechselt, während die brech¬
bareren Farben sämmtlich gut unterschieden werden '). Innerhalb dieser
Classe sind nun aber wieder zwei Unterclassen zu unterscheiden: die
Einen verwechseln helles Roth mit dunklem Grün, die Andern dunkles
Roth mit hellem Grün. Hieraus geht hervor, dass im ersten Fall die
Netzhaut für rothes Licht weniger empfindlich ist als für grünes, und dass
sie im zweiten Fall lür grünes Licht weniger empfindlich ist als lür rothes.
Man unterscheidet daher die Rothgrünblinden wieder in Rothblinde und
in Grünblinde. Bei den ersteren ist das rothe Ende des Spektrums
meist verkürzt, bei den letzteren wird der mittlere, zwischen Gelb und Blau
gelegene Theil des Spektrums mit Grau verwechselt; außerdem ist die
Grünblindheit augenscheinlich ein minder gleichförmiger Zustand, da bei
ihr die Zone der geringsten Empfindlichkeit bald mehr gegen Roth bald
mehr gegen Blau verschoben erscheint, und da bei ihr alle möglichen
Uebergangsstufen zur normalen l arbenempfindlichkeit vorzukommen schei¬
nen, während man solche bei der Rothblindheit nicht beobachtet2). Die
zweite Hauptclasse der Farbenblindheit, die Violettblindheit (häufig auch
Blaublindheit oder Blaugelbblindheit genannt), kommt viel seltener vor als
fachsteil mittelst des zu diesem Zweck zuerst von Maxwell angewandten farbenkreiseis,
an dem leicht, entweder indem man zwei rotirende Scheiben verwendet oder die ver¬
schiedenen Zonen einer einzigen Scheibe vergleicht, bei verschiedenen Zusammen¬
stellungen von Pigmentfarben und von Schwarz mit Weiß eine Sectorenbreite sich
hersteilen lasst, bei der die Mischungen von dem Farbenblinden gleich empfunden
werden. Man gewinnt so Empfindungsgleichungen, in denen der Antheil der einzelnen
Pigmente oder Helligkeiten an der Mischung durch die Winkelbreite der Sectoren aus¬
gedrückt ist. Z. B. 200 Roth + 160 Blau = 195 Schwarz + 165 Weiß würde be¬
deuten, dass für ein bestimmtes Auge eine Mischung aus Roth und Blau einer andern
aus Schwarz und Weiß, welche dem normalen Auge grau erscheint, äquivalent ist.
Andere Methoden der Prüfung bestehen in der directen Vergleichung von Spektralfarben,
in der Mischung verschiedener Spektralfarben zu Farbengleichungen, in der Benutzung
der unten zu erörternden Contraste der Farben und endlich in der Herstellung einer
großen Zahl farbiger Pigmente, die man nach ihrer Aehnlichkeit sortiren lässt Letz¬
tere Methode ist, mit Benutzung von Wollmustern, von Holmgren für praktische Zwecke
zu sehr umfangreichen Untersuchungen angewandt worden. Vgl. hierzu Helmholtz,
Physiol. Optik, S. 299. Snellen und Landolt, in Graefe und Saemisch’s Handbuch, 111,
1. S. 39. Holmgren, Die Farbenblindheit in ihrer Beziehung zu den Eisenbahnen und
zur Marine. Leipzig 1 878. Bonders, Ueber Farbensysteme, Arch. f. Ophthalm., XXVII,
1, S. 155 ff.
1) Holmgren a. a. O. v. Kries und Küster, Archiv f. Physiologie, 1879, S. 513 11.
2) Donders, Arch. f. Ophthalm., XXVII, 1. S. 155, und Archiv tür Physiologie, 1 884,
S. 518.