Lichtempfindungen.
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gleichsam die Empfindungen mischen, indem man mittelst des Farben¬
kreisels in sehr rascher Zeitfolge auf eine und dieselbe Stelle der Netzhaut
verschiedenartige Eindrücke einwirken lässt. Nach allen diesen Methoden
findet man zunächst, dass die Mischung aller Spektralfarben in dem Inten-
sitätsverhältniss, wie sie das Sonnenspektrum darbietet, Weiß erzeugt,
eine Thatsache, welche nur den aus der Zerlegung des gemischten Sonnen¬
lichtes in die einzelnen Spektralfarben folgenden Schluss bestätigt. Man
findet aber ferner, dass derselbe Erfolg durch eine geringere Anzahl, ja
bei geeigneter Wahl durch zwei einfache Farben bereits herbeigeführt
werden kann. Zwei Farben, die im Spektrum einander nahe stehen, geben
nämlich zusammen gemischt einen Farbenton, der auch in der Reihe der
Spektralfarben zwischen ihnen gelegen ist; dieser nimmt, wenn die Farben
weiter aus einander rücken, allmählich eine weißliche Beschaffenheit an, und
bei einem bestimmten Unterschiede der Mischfarben geht, wenn dieselben
in den geeigneten Intensitätsverhältnissen Zusammenwirken, die resultirende
Farbe in Weiß über. Wählt man die Distanz der Spektralfarben noch
größer, so entsteht dann wieder eine Farbe, diese liegt aber nicht mehr
in der Mitte zwischen den beiden Mischfarben, sondern zwischen der
zweiten (brechbareren Farbe und dem Ende des Spektrums, oder sie ist,
wenn die Fanden des Spektrums selber gemischt werden, Purpur. Jene
Farben nun. welche in den geeigneten Intensitätsverhältnissen mit ein¬
ander gemischt Weiß geben, nennt man Ergänzungsfarben (Comple-
mentärfarben). Auf diese Weise findet man, dass
Roth und Grünblau,
Orange und Blau,
Gelb und Indigblau,
Grüngelb und Violett
einander complementär sind1). Das Grün des Spektrums hat keine ein¬
fache Farbe sondern Purpur zur Complementärfarbe. Aus dieser Zusammen¬
stellung folgt nach dem obigen von selbst, dass Roth mit einer vor Grünblau
gelegenen Farbe, z. B. Grün, gemischt, je nachdem Roth oder Grün mehr
überwiegt, successiv Orange, Gelb, Gelbgrün gibt, dass dagegen Roth mit
Blau gemischt Indigblau oder Violett hervorbringt, und ähnlich bei den
übrigen Farben. Aus diesen Thatsachen lassen sich nun sogleich Be¬
dingungen entwickeln, durch welche die Gestalt der Farbenlinie, statt wie
oben nach der Abstufung der Farbenempfindung, vielmehr nach dem gegen¬
seitigen Verhalten der einzelnen einfachen Farben bei Mischungen näher
bestimmt wird. Man kann z. B. die Farbenlinie so construiren, dass je
zwei Complementärfarben durch eine gerade Linie von constanter Länge
\ ) Grassmann, Poggendorff’s Annalen, LXXXIX, S. 78.