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Qualität der Empfindung.
nähern, demnach sich ähnlich verhalten wie zwei im Spektrum benach¬
barte Farben, z. B. Roth und Orange oder Blau und Indigblau. Die Far¬
ben bilden also nicht, wie die Töne, eine Linie, die immer in derselben
Richtung fortschreitet, sondern das Ende dieser Linie nähert sich wieder
ihrem Anfang. Dies bedeutet offenbar, dass die genannte Linie keine
gerade ist, sondern eine irgendwie gekrümmte oder geknickte Form hat.
Die Verwandtschaft zwischen den beiden Endfarben des Spektrums tritt
am deutlichsten darin zu Tage, dass, wenn man dieselben mischt, eine
Farbe entsteht, welche alle möglichen Uebergangstöne zwischen Roth und
Violett enthält. Diese Farbe ist das Purpur. Dasselbe liegt dem Roth
näher, wenn in der Mischung das Roth überwiegt (Karmesinroth), es nähert
sich dem Violett, wenn von dieser Farbe mehr in die Mischung eingeht
(eigentliches Purpur). Hiernach lässt sich die Mannigfaltigkeit der einfachen
Farben als eine gekrümmte Linie darstellen, deren Enden sich nähern,
am einfachsten als eine Kreislinie, der ein kleines Bogenstück zum voll¬
ständigen Kreise fehlt: nimmt man die durch Mischung der Endfarben des
Spektrums erzeugbaren Farbentöne hinzu, so wird damit auch dieser Bogen
ergänzt. Unsere Farbenempfindungen bilden nun eine in sich zurück¬
laufende Linie. Hiermit hängt ein weiterer Unterschied der Farben-
von den Tonempfindungen zusammen. Die Farbenlinie lässt sich nicht
wie die Tonlinie nach beiden Richtungen ins unendliche fortgesetzt denken,
sondern der Umfang der Farbenempfindungen ist ein in sich begrenzter.
Ja es scheint, als wenn, falls wir uns die Veränderungen des Violett und
des Roth, wie sie gegen die Enden des Spektrums hin stattfinden, weiter
fortgeführt denken wollten, dies nur in der Richtung der Farbentöne des
Purpur geschehen könnte. Doch mag es sein, dass dies mehr auf Erfah¬
rung als auf ursprünglicher Empfindung beruht1). Uebrigens ist der Kreis
zwar die einfachste Form, die wir für die Farbenlinie voraussetzen können,
aber keineswegs die einzige; irgend eine andere gegen ihren Ausgangs¬
punkt zurücklaufende Curve, ja eine geknickte, aus gekrümmten oder
geraden Theilen zusammengesetzte Linie, z. B. ein geradliniges Dreieck,
würde sie ebenso gut darstellen. Bedingung bei allen diesen Darstellungen
bleibt nur, dass die beiden Enden sich wieder nähern und, wenn man
die Ergänzung durch Purpur hinzunimmt, in einander übergehen. Die
purpurnen Farbentöne sind aber zugleich die einzigen unter allen Misch-
1) Die gewöhnlich nicht sichtbaren brechbarsten Strahlen des Spektrums, die aber
bei Ausschluss alles andern Lichtes sichtbar gemacht werden können, die über-
violetten Strahlen, erscheinen allerdings nicht purpurfarben, sondern bläulicher als
das eigentliche Violett. Aber dies ist kein Widerspruch gegen die Annahme eines
Zurücklaufens der Farbencurve. Denn jener bläuliche Farbenton wird durch die
Fluorescenz der Netzhaut bedingt, welche bei den übervioletten Strahlen im Verhält-
niss zur Intensität der Empfindung ihre größte Stärke erreicht. Das Fluorescenzlicht ist
nämlich weißlich, Weiß mit Violett gemischt gibt aber einen bläulichen Farbenton.