L ichtempfindungen.
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und für welches es sich überall nur um eine Schätzung von Y erhältnissen,
nicht um eine Auffassung absoluter Unterschiede handeln könne. Diese beson¬
ders von Euler1) vertretene ältere Theorie ist hauptsächlich durch die von
Helmholtz aufgestellte Theorie der Klangharmonie, welche als das bestimmende
Moment für die Entstehung der musikalischen Intervalle die Klangverwandtschaft
nachweist, verdrängt worden. In einer Beziehung ist aber auch hier noch eine
Nachwirkung jener älteren Auffassung zu bemerken, insofern nämlich als
Helmholtz ebenfalls Tonabstufung überhaupt und Abstufung nach musikalischen
Intervallen für identisch hält und daher eine nicht von Klangverwandtschaft ge¬
leitete Abmessung von Tonunterschieden für unmöglich hält. In einer modi-
ficirten Form hat Tn. Lipps die ältere Theorie wieder aufgenommen.2) Da er
jedoch wesentlich nur von dem Bediirfniss einer befriedigenden Erklärung der
Harmonie und Disharmonie ausgeht, so wird hierauf erst bei Erörterung der
letzteren zurückzukommen sein. Hier ist nur hervorzuheben, dass Lipps’ An¬
nahme einer Abstufung der Tonhöhen nach dem unbewusst bleibenden, aber in
seiner Endwirkung maßgebenden Rhythmus der Schwingungszahlen insofern einer
Schwierigkeit begegnet, als nach den oben mitgetheilten Thatsachen neben der
Abstufung nach rhythmischen Intervallen noch eine andere nach absoluten Schwin¬
gungsunterschieden existiren müsste, bei welcher letzteren, da sie auch bei ganz
unharmonischen Intervallen stattfindet, an eine bewusste oder unbewusste Auf¬
fassung der SchwingungsVerhältnisse jedenfalls nicht zu denken ist.
4. Lichtempfindungen.
Unsere Lieh temp fin dun gen unterscheiden wir nach drei ver¬
änderlichen Bestimmungen: 1) nach der Qualität der Farbe oder dem
Farbenton, 2) nach der Sättigung der Farbe oder der Farbenstufe,
und 3) nach der Lichtintensität oder der Stärke der Empfindung.
Unter der Färb en stufe verstehen wir den Grad, in welchem sich mit
einer Farbenempfindung die farblose Lichtempfindung verbindet3). Wir
nennen nämlich eine Farbe um so gesättigter, je weniger farbloses Licht
(Weiß, Grau oder Schwarz) ihr beigemischt ist; das Weiß selbst nebst
seinen Intensitätsabstufungen bis zum Schwarz kann in diesem Sinne als
der geringste Sättigungsgrad einer jeden Farbe betrachtet werden. Von
den genannten drei Modalitäten der Lichtempfindung ist im allgemeinen
die erste, der Farbenton, von der Wellenlänge, die zweite, die Farbenstufe,
von der Beimengung von Licht anderer Wellenlänge, die dritte, die Licht-
1) Nova theoria musicae, Cap. II.
2) Lipps, Grundthatsachen des Seelenlebens. Bonn 1883, S. 238 ff.
3) Au Bert (Grundzüge der physiologischen Optik, S. 517) hat zur Bezeichnung der
Sättigung einer Farbe das Wort Farbennuance vorgeschlagen. Da aber dieses Wort
seit langer Zeit von vielen Autoren im nämlichen Sinne wie Farbenton gebraucht wird,
so sei es erlaubt statt dessen den solchen Verwechslungen minder ausgesetzten und
vielleicht auch an und für sich bezeichnenderen Ausdruck Farben stufe zu ge¬
brauchen.