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Qualität der Empfindung.
Schwebungen zweier Töne erzeugen, an denen keine Dissonanz bemerkt
wird. Dies beruht darauf, dass wir Intermissionen des Tons schärfer auf¬
fassen als Unterschiede der Tonhöhe. Zwei Töne können daher Schwe¬
bungen mit einander machen, obgleich sie im Einklang zu stehen oder
einem harmonischen Intervall anzugehören scheinen. Solche Schwebungen
können unter Umständen sogar als Hülfsmittel musikalischer Wirkung
dienen, öfter zwar sind sie störend, aber nicht weil durch sie Dissonanz
entsteht, sondern weil die zitternde Beschaffenheit des Klangs meistens
für den musikalischen Ausdruck nicht angemessen ist. Im allgemeinen
achten wir auf Schwebungen dieser Art nicht viel, so lange nur das
Verhältniss der Tonhöhen und die Klangverwandtschaft ungeändert bleiben.
Hierauf beruht auch die relativ geringe Belästigung, welche uns die Stim¬
mung der Instrumente nach gleichschwebender Temperatur verursacht.
Denn die Abweichungen derselben von der reinen Stimmung üben meistens
auf die Empfindung von Tonhöhe und Klangverwandtschaft keinen nennens-
werthen Einfluss aus.
Wie einfache Töne mit einander Schwebungen bilden und dadurch
Rauhigkeit des Klangs erzeugen können, so ist dies auch bei den verschie¬
denen Partialtönen zusammengesetzter Klänge möglich. Von den einzelnen
Bestandtheilen eines Klanges können entweder die Grundtöne mit einander
Schwebungen bilden; dann sind diese wegen der überwiegenden Stärke des
Grundtons so mächtig, dass die Rauhigkeiten der Obertöne, die hierbei nie
fehlen, dagegen verschwinden. Oder es können die Grundtöne consonant
sein, aber die Obertöne derselben mehr oder weniger starke Schwebungen
erzeugen. In solchem Falle ist die Rauhigkeit geringer als im vorigen, und
sie richtet sich in ihrer Stärke nach der Intensität der dissonirenden Ober-
Gewichte allmählich verstimmt, entsprechend wurde der Resonanzkasten derselben durch
Ausziehen eines Schiebers aus Pappe in seiner Stimmung verändert. Auf diese Weise
konnte leicht das Entstehen der Schwebungen vom Einklänge an bis zum Maximum der
Rauhigkeit und von da bis zum Verschwinden der Dissonanz verfolgt werden. Unter
allen Umständen fand ich so schon bei 50 Schwebungen die Rauhigkeit so undeutlich,
dass man an ihrer Existenz zweifeln konnte; über 60 war aber keine Spur von Störung
mehr zu bemerken. Auch die umfangreichen Beobachtungen von R. König (Poggen-
dorff’s Annalen, CLVII, S. 177 f.) sprechen für diese Grenze. Die Stöße, welche von
ihm als noch eben wahrnehmbar bezeichnet werden, schwanken durchgängig um 40
in der Secunde ; darüber hinaus trete »Rauhigkeit« des Klanges ein. Auf die nämliche
Grenze führt endlich die Beobachtung der tiefsten Töne hin. Wenn man zwei große
gedeckte Labialpfeifen, die zwischen dem C von 64 und dem c von 128 Schwingungen
in ihrer Stimmung veränderlich sind, auf Grundton und Quinte (C und G) stimmt, so
entsteht ein Differenzton Ci von 32 Schwingungen, an dem noch eben die Intermissionen
der einzelnen Luftstöße bemerklich sind. Bei dem Ton C von 64 Schwingungen ist aber
davon keine Spur mehr zu entdecken. Uebrigens ist zu bemerken, dass die tiefsten
einfachen Töne, auch wenn noch die einzelnen Luftstöße derselben empfunden wer¬
den, niemals jene Rauhigkeit zeigen, welche bei den Schwebungen beobachtet wird,
und welche eben in dem raschen Wechsel zwischen den zwei dissonirenden Tönen
ihre Ursache hat.