Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

420 
Qualität der Empfindung. 
den zusammengesetzten Klang ganz ebenso in einfache Klänge oder Töne, 
wie der objective Schwingungsvorgang sich aus einer Anzahl einfach pen¬ 
delartiger Schwingungen zusammensetzt. Die stärkste dieser pendelartigen 
Schwingungen empfindet das Ohr als den Grundton des Klangs, die schwä¬ 
cheren als die Obertöne. Dieselbe Analyse erstreckt sich bis zu einem 
gewissen Grade auch auf die Geräusche. In den meisten Geräuschen ver- 
mögen wir deutlich einzelne Klänge zu unterscheiden. Niemals aber lässt 
sich ein Geräusch vollständig in einzelne Töne auflösen, sondern neben 
den etwa unterscheidbaren Tönen von bestimmter Höhe bleibt hier stets 
eine eigenthümliche, je nach der Beschaffenheit des Geräusches wechselnde 
Empfindung bestehen, welche von den Klangqualitäten verschieden ist, 
und welche wir demgemäß als die specifische Geräuschempfindung 
werden betrachten können. Ihre physiologische Unterlage bilden, wie 
schon früher (S. 321) erwähnt, wahrscheinlich die in allen Gehörorganen 
vorkommenden Otolithen und cilientragenden Sinnesepithelzellen, während 
Vorrichtungen zur gesonderten Aufnahme einfacher Schwingungen, also 
zur Klangempfindung, nur in entwickelteren Gehörapparaten sich finden1). 
Bei allen Geräuschempfindungen werden übrigens die begleitenden Klang- 
1) Die meisten Physiologen betrachten in neuerer Zeit nach dem Vorgänge von 
Helmholtz das Geräusch als eine Summe unregelmäßig sich störender Tonempündungen. 
Diese Ansicht beruht aber auf einer unberechtigten Lebertragung der physikalischen 
Analyse der Geräusche auf die Empfindung. Während bei den Klängen eine solche 
Uebertragung statthaft ist, weil die Klangempfindung wirklich in eine Summe von Ton¬ 
empfindungen zerlegt werden kann, ist solches bei den Geräuschen durchaus nicht der 
Fall, sondern es bleibt hier stets neben den etwa begleitenden Klangbestandtheilen eine 
specifische Geräuschempfindung übrig, weiche einer solchen Zerlegung unzugänglich 
ist; bei den langsamsten und schnellsten Schwingungen, welche jenseits der Grenzen 
der Tonempfindungen liegen, ist sie allein wahrzunehmen. Die Argumente von Exneii 
Pflegers Archiv, XIII, S. 228) und Brücke Wiener Sitzungsber., 3. Abth. XC, S. 199) 
für die Identität der ton- und der geräuschempfindenden Apparate im Ohr sind, wie 
ich glaube, nicht beweisend. Aus ihren Beobachtungen geht nur hervor, dass die 
meisten Geräusche zugleich mit Tonempfindungen verbunden sind, nicht aber dass sie 
bloß aus solchen bestehen. Die weiterhin von Brücke geltend gemachten theoretischen 
Schwierigkeiten liegen nicht in der Sache selbst, sondern nur in den eigenthümlichen 
Forderungen , welche dieser Autor vom Standpunkte einer strengen Durchführung des 
Princips der specifischen Energie aus an die besonderen Endorgane der Geräusch- 
empfindung stellt. Es ist nicht abzusehen, warum jedem qualitativ verschiedenen 
Geräusch ein besonderes Endorgan entsprechen müsste, weil es vollkommen denkbar 
ist, dass die Erregungsform der nämlichen Endorgane mit der Form des erregenden 
Geräusches wechselt. Dass, abgesehen von den oben geltend gemachten physiologi¬ 
schen Gründen, auch die früher (S. 314 ff.) erörterten morphologischen Verhältnisse 
des Gehörapparats und seiner Entwicklung für eine Trennung der Geräusch- von den 
Klangempfindungen sprechen, hat bereits Preyer bemerkt. Preyed, Akustische Unter¬ 
suchungen. Jena 1 879, S. 38.) Wenn jedoch der letztere Autor aus diesem Grunde 
die Empfindung der Stöße und Schwebungen ausschließlich den Geräuschapparaten 
zuweist, so dürfte das kaum zu rechtfertigen sein. Zunächst sind die Schwebungen 
Intermissionen der Klangempfindung, welchen Ab- und Zunahmen in der Erregung 
der Schneckennerven entsprechen müssen. Die Stöße werden also theils direct die 
Geräuschapparate erregen, und dies um so mehr, je stärker und rascher sie sind, theils 
aber als eine Störung der Klangempfindungen sich geltend machen.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.