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Qualität der Empfindung.
den zusammengesetzten Klang ganz ebenso in einfache Klänge oder Töne,
wie der objective Schwingungsvorgang sich aus einer Anzahl einfach pen¬
delartiger Schwingungen zusammensetzt. Die stärkste dieser pendelartigen
Schwingungen empfindet das Ohr als den Grundton des Klangs, die schwä¬
cheren als die Obertöne. Dieselbe Analyse erstreckt sich bis zu einem
gewissen Grade auch auf die Geräusche. In den meisten Geräuschen ver-
mögen wir deutlich einzelne Klänge zu unterscheiden. Niemals aber lässt
sich ein Geräusch vollständig in einzelne Töne auflösen, sondern neben
den etwa unterscheidbaren Tönen von bestimmter Höhe bleibt hier stets
eine eigenthümliche, je nach der Beschaffenheit des Geräusches wechselnde
Empfindung bestehen, welche von den Klangqualitäten verschieden ist,
und welche wir demgemäß als die specifische Geräuschempfindung
werden betrachten können. Ihre physiologische Unterlage bilden, wie
schon früher (S. 321) erwähnt, wahrscheinlich die in allen Gehörorganen
vorkommenden Otolithen und cilientragenden Sinnesepithelzellen, während
Vorrichtungen zur gesonderten Aufnahme einfacher Schwingungen, also
zur Klangempfindung, nur in entwickelteren Gehörapparaten sich finden1).
Bei allen Geräuschempfindungen werden übrigens die begleitenden Klang-
1) Die meisten Physiologen betrachten in neuerer Zeit nach dem Vorgänge von
Helmholtz das Geräusch als eine Summe unregelmäßig sich störender Tonempündungen.
Diese Ansicht beruht aber auf einer unberechtigten Lebertragung der physikalischen
Analyse der Geräusche auf die Empfindung. Während bei den Klängen eine solche
Uebertragung statthaft ist, weil die Klangempfindung wirklich in eine Summe von Ton¬
empfindungen zerlegt werden kann, ist solches bei den Geräuschen durchaus nicht der
Fall, sondern es bleibt hier stets neben den etwa begleitenden Klangbestandtheilen eine
specifische Geräuschempfindung übrig, weiche einer solchen Zerlegung unzugänglich
ist; bei den langsamsten und schnellsten Schwingungen, welche jenseits der Grenzen
der Tonempfindungen liegen, ist sie allein wahrzunehmen. Die Argumente von Exneii
Pflegers Archiv, XIII, S. 228) und Brücke Wiener Sitzungsber., 3. Abth. XC, S. 199)
für die Identität der ton- und der geräuschempfindenden Apparate im Ohr sind, wie
ich glaube, nicht beweisend. Aus ihren Beobachtungen geht nur hervor, dass die
meisten Geräusche zugleich mit Tonempfindungen verbunden sind, nicht aber dass sie
bloß aus solchen bestehen. Die weiterhin von Brücke geltend gemachten theoretischen
Schwierigkeiten liegen nicht in der Sache selbst, sondern nur in den eigenthümlichen
Forderungen , welche dieser Autor vom Standpunkte einer strengen Durchführung des
Princips der specifischen Energie aus an die besonderen Endorgane der Geräusch-
empfindung stellt. Es ist nicht abzusehen, warum jedem qualitativ verschiedenen
Geräusch ein besonderes Endorgan entsprechen müsste, weil es vollkommen denkbar
ist, dass die Erregungsform der nämlichen Endorgane mit der Form des erregenden
Geräusches wechselt. Dass, abgesehen von den oben geltend gemachten physiologi¬
schen Gründen, auch die früher (S. 314 ff.) erörterten morphologischen Verhältnisse
des Gehörapparats und seiner Entwicklung für eine Trennung der Geräusch- von den
Klangempfindungen sprechen, hat bereits Preyer bemerkt. Preyed, Akustische Unter¬
suchungen. Jena 1 879, S. 38.) Wenn jedoch der letztere Autor aus diesem Grunde
die Empfindung der Stöße und Schwebungen ausschließlich den Geräuschapparaten
zuweist, so dürfte das kaum zu rechtfertigen sein. Zunächst sind die Schwebungen
Intermissionen der Klangempfindung, welchen Ab- und Zunahmen in der Erregung
der Schneckennerven entsprechen müssen. Die Stöße werden also theils direct die
Geräuschapparate erregen, und dies um so mehr, je stärker und rascher sie sind, theils
aber als eine Störung der Klangempfindungen sich geltend machen.