Empfindlingen des Gefühlssinns.
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die eine derselben bis zu einem gewissen Grade constant zu erhalten,
während sich die andere verändert, so ist doch eine völlig isolirte Be¬
obachtung beider unmöglich, da mit jeder Contractions- oder Lageempfin¬
dung irgend eine Kraftempfindung verbunden ist und umgekehrt. Ohne
Zweifel ist diese Verbindung zugleich der Anlass zu einer nicht selten
bemerklichen Vermengung beider bei ihrer Verwerthung zu Vorstellungen.
Bei der Erhebung eines ungewöhnlich großen Gewichts sind wir geneigt
die Erhebun^shöhe zu überschätzen. In noch höherem Maße beobachtet
man solche Täuschungen in paretischen Zuständen, wo bei der Bewegung
eines halb gelähmten Gliedes nicht nur die Empfindung einer außerordent¬
lichen Schwere desselben, also eine gesteigerte Kraftempfindung, vorhanden
ist, sondern meistens zugleich der Umfang der Bewegungen mehr oder
weniger erheblich überschätzt wird.
Wesentlich verschieden von diesen die Bewegungsvorstellungen con-
stituirenden Empfindungen der Energie und des Umfangs der Bewegungen
verhält sich die Ermüdungsempfindung der Muskeln, die in den
verschiedensten Gradabstufungen Vorkommen und schließlich bis zum
Muskelschmerze sich steigern kann. Dem Ermüdungsschmerz verwandt
sind aus andern Anlässen, z. B. bei Verletzungen, bei rheumatischen Ent¬
zündungen, auftretende Muskelschmerzen. Alle diese Empfindungen ge¬
hören wegen ihrer bloß subjectiven Bedeutung zu den Gemeinempfindungen,
und unter ihnen ist wieder die Ermüdungsempfindung von besonderer
Wichtigkeit, indem von der Intensität, mit der sich dieselbe im Verhält-
niss zu ihren äußeren Anlässen geltend macht, unser allgemeines körper¬
liches Befinden in erster Linie beeinflusst wird. Das Schwächegefühl der
Kranken und Altersschwachen ist wahrscheinlich zum großem Theil Ge¬
fühl der Muskelermüdung.
Gegenüber so vielgestaltigen Empfindungen, welche an die Bewegung
geknüpft sind, bald sie begleitend bald als ihre Nachwirkungen zurück-
bleibend, drängt sich beinahe von selbst die Vermuthung auf, es möchten
wohl jene Empfindungen, die wir wegen ihres Gebundenseins an die Be¬
wegungsorgane allesammt unter den Bewegungsempfindungen zusammen¬
fassen, sehr verschiedene Quellen haben. Nichts desto weniger hat sich
innerhalb der Physiologie, wohl aus einem in diesem Fall verfehlten Streben
nach Einfachheit der Erklärungen, meistens die Tendenz geltend gemacht,
alle Bewegungsempfinclungen wo möglich aus einer Quelle abzuleiten.
In dieser Absicht hat man sie entweder 1) auf Druckempfindungen
der Haut zurückzuführen gesucht, oder man hat in ihnen 2) specifische
Muskel empf in düngen gesehen, welche, von sensibeln Apparaten und
Nerven im Innern der Muskeln abhängig, gewissermaßen als Empfindungen
eines sechsten Sinnes, des Muskelsinnes, zu betrachten seien; endlich hat