Empfindungen des Gefühlssinns.
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hierbei als möglich erwartet werden könnte, dass an einer und derselben Haut¬
stelle wegen ungleicher Adaptation der Temperaturorgane gleichzeitig Wärme und
Kälte empfunden wird, so scheint mir dies leicht aus dem intensiven und ex¬
tensiven Uebergewicht der Kältepunkte erklärlich zu sein, wonach der Adap¬
tationszustand der letzteren immer in erster Linie für die Bestimmung des
Nullpunktes entscheidend sein muss. Endlich hat noch Goldscheider in der
Unabhängigkeit der Kälte-, Wärme- und Druckpunkte von einander und in der
Möglichkeit, durch Reizung eines Tastnerven die Empfindungen dieser drei End¬
organe excentrisch auszulösen, einen Beweis für die Existenz specifischer
Nervenfunctionen in dem Sinne gesehen, dass jede dieser Empfindungen unab¬
änderlich an bestimmte centrale Zellen gebunden sei, auf deren ursprünglicher
Verschiedenheit demnach diese Empfindungen beruhen sollen. Nur bezüglich
der Schmerzempfindungen, die, wie hauptsächlich Magnus Blix nachwies, wahr¬
scheinlich nur durch directe Reizung der Nerven entstehen, bezweifelt auch
Goldscheider die Existenz besonderer centraler Zellen. Allgemein kann jedoch
liier bemerkt werden, dass die Resultate dieser neueren Untersuchungen über
die verschiedenen Qualitäten des Gefühlssinns vollkommen den von Seiten des
Gehörs- und Gesichtssinn bereits bekannten Thatsachen entsprechen, und dass
sie daher in keiner andern Weise als diese eine specifische Energie der Nerven
selbst oder ihrer centralen Endigungen annehmen lassen, nämlich als eine
erworbene und sogar während des individuellen Lebens immer neu zu er¬
werbende Function, zu deren Ausbildung die eigenthümliche Leistung der
peripherischen Sinnesapparate unerlässlich ist, wie dies oben S. 222 ff. und
S. 33 I ff. dargelegt wurde.
Neben den Druck- und Temperaturempfindungen pflegt man in einem
w eiteren Sinne dem Gebiete des Tastsinns auch diejenigen Empfindungen
zuzurechnen, welche sich mit den Bewegungen unserer willkürlichen Mus¬
keln verbinden. In der Regel wirken bei der Thätigkeit der Tastorgane
diese Bewegungsempfindungen mit den Druckempfindungen zusammen
und tragen auf solche Weise wesentlich mit bei zu den Vorstellungen,
die wir von der physischen Beschaffenheit der Körper uns bilden. Gleich
den Druckempfindungen bieten auch sie gewisse Verschiedenheiten der
Qualität dar, von denen jedoch manche sowohl vermöge ihrer Unbestimmt¬
heit wie durch ihre starke Gefühlsbetonung den Gemeinempfindungen
gleichen. Am deutlichsten ausgebildet unter diesen qualitativ verschiedenen
Bewegungsempfindungen sind diejenigen, die sich auf Umfang und
Energie der Bewegung beziehen; sie sind es, die in ihrer Verbin¬
dung mit den Druckempfindungen der Haut die Grundlagen unserer Be¬
wegungsvorstellungen abgeben. Die Leistung eines Muskels wTird bekannt¬
lich gemessen durch das Product des gehobenen Gewichtes p in die
Erhebungshöhe /?. Unsere Bewegungsempfindung wächst nun nicht etwra
in ihrer Intensität einfach diesem Producte p . h proportional, sondern wir
unterscheiden deutlich die beiden Factoren desselben: dem Gewichte p
entspricht die Kraftempfindung, der Erhebungshöhe h die Contrac-