Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Qualität der Empfindung. 
denen zeitlichen Verlauf, welchen die Druckempfindung darbietet. Gleich¬ 
wohl ist nicht zu verkennen, dass wir jene verschiedenen Eindrücke in 
ähnlichem Sinne unmittelbar als qualitativ eigentümliche auffassen wie 
zwei verschiedene Ton- oder Geschmacksempfindungen. Der wesentliche 
Unterschied beider Fälle besteht nur darin, dass wir den Tastempfindungen 
eine unmittelbare Beziehung zur objectiven Beschaffenheit der Eindrücke 
beilegen, weil wir vorzugsweise mittelst der Qualitäten der Druckempfin¬ 
dung unsere Vorstellungen über die allgemeinen physikalischen Eigen¬ 
schaften der Körper gewinnen. Diese Beziehung führt dann leicht zu der 
Voraussetzung, jene Qualitäten seien selbst mit diesen Eigenschaften iden¬ 
tisch, eine Voraussetzung, die in diesem Fall in unserm Bewusstsein tiefer 
Wurzel gefasst hat als bei den übrigen Sinnesempfindungen1). 
Mit den Druckempfindungen verbinden sich Temperaturempfin- 
dungen, sobald sich die Temperatur der mit dem Tastorgan in Berüh¬ 
rung kommenden Körper über oder unter jenem physiologischen Nullpunkt 
befindet, welcher durch Adaptation an eine bestimmte Eigentemperatur 
sich ausgebildet hat (vgl. S. 370). Wir unterscheiden hier nur zwei 
Qualitäten, die Wärme- und Kälteempfindung. Jede dieser Quali¬ 
täten ist nur intensiver Veränderungen fähig, wobei zugleich die Wärme- 
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empfindungen eine größere Zahl von Gradabstufungen durchlaufen können 
als die Kälteempfindungen, wahrscheinlich weil die Einwirkung der Kälte 
rasch die Erregbarkeit abstumpft. Auch Wärme und Kälte empfinden wir, 
ähnlich wie den Druck, nur dann, wenn der Reiz auf eine mehr oder 
weniger beschränkte Stelle der Haut einwirkt, indem wir dann diese 
Stelle als wärmer oder kälter im Vergleich mit ihrer Umgebung auffassen. 
Ein die ganze Haut gleichförmig treffender Temperaturreiz, wie z. B. beim 
Sprung in ein kaltes oder warmes Bad, wird dagegen nur vorübergehend, 
bis die früher erwähnte Anpassung der Haut eingetreten ist, als Wärme 
oder Kälte empfunden. Diese Thatsache lässt sich wohl zusammen mit 
der Erscheinung, dass wir auch den Druck nur bei localer Beschränkung 
empfinden, auf jenes Princip der Relativität der Empfindungen zu¬ 
rückführen, welches bei der Auffassung der Stärke der Empfindungen in 
dem Weber sehen Gesetze seinen Ausdruck findet. 
Die intensiveren Temperaturempfindungen verbinden sichmit Schmerz¬ 
empfindungen, und bei einer gewissen Höhe der Reizwirkung verdrängen 
die letzteren völlig die eigentliche Temperaturempfindung. Sehr schwache 
U Bezeichnend in letzterer Beziehung ist es, dass Locke den Druckempfindungen 
unter allen nur einem Sinn zugehörigen Empfindungen eine Ausnahmestellung anweist, 
indem er sie den von ihm sogenannten primären Qualitäten, d. h. den Empfin¬ 
dungen Von objectiv realer Bedeutung zurechnet. (Locke, Essay concerning human 
understanding, IÏ, chap. VIII.)
	        
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