Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Intensität der Empfindung. 
einbar ist, hat J. J. Müller zu geben versucht1). Jenes Gesetz sagt aus, dass 
l) der Empfindungsunterschied derselbe bleibt, wenn das Reizverhältniss con¬ 
stant erhalten wird, und dass 2) die Empfindung erst bei einem bestimmten 
endlichen Werth des Reizes, dem Schwellenwerthe, beginnt, wobei die Größe 
des Schwellenwerthes offenbar durch die Erregbarkeit der nervösen Organe mit¬ 
bestimmt wird. Nehmen wir nun an, es verändere sich die Empfindung da¬ 
durch, dass bloß der Reiz variirt wird, während die Erregbarkeit, also der 
Schwellenwerth S des Reizes, derselbe bleibt: dann werden die durch zwei 
Reize R und R' erzeugten Empfindungen E und É ausgedrückt durch die For¬ 
meln E 
k • log. 
E — 
R_ 
S 
È 
und Ef 
Rf 
k * log, — , also ist der Empfindungsunterschied 
k • log. 
R 
~S 
1 Rf — /. / R 
log• g — k • log. r, , 
d. h. der Unterschied zweier Empfindungen ist bloß von dem Verhältniss der 
Reize, nicht von der Reizbarkeit der nervösen Organe abhängig, da der ihr 
reciproke Schwellenwerth in der Formel verschwindet. Nehmen \vir dagegen 
an, der Empfindungsunterschied sei durch veränderte Reizbarkeit, also durch 
Veränderung des Schwellenwerthes verursacht, so wird 
E — E' = k • log, ~ — k • log. ~ = k . log. ~. 
Jetzt ist also der Empfindungsunterschied bloß von der veränderten Reizbar¬ 
keit, nicht von der Größe des einwirkenden Reizes abhängig2). Dies bedeutet, 
dass einerseits unsere Schätzung der Reizgrößen mittelst der Empfindungen 
nicht vom dem Zustande der Erregbarkeit beeinflusst wird, und dass anderseits 
auch die Beurtheilung der Erregbarkeit nach der Empfindungsstärke nicht von 
der Größe der Reize abhängig ist. Insofern man nun vom praktischen Ge¬ 
sichtspunkte aus die Empfindungen als Zeichen betrachten kann, mittelst deren 
wir entweder die Stärke der einwirkenden Reize oder den Zustand unserer 
empfindenden Organe erkennen, lässt sich diese Unabhängigkeit als ein prak¬ 
tischer Vorzug der durch die Maßformel ausgedrückten Beziehung betrachten. 
Es ist jedoch zu bemerken, dass dieser praktische Nutzen nur so lange von Be¬ 
deutung sein kann, als uns sonstige Anlässe gegeben sind, ans denen wir im 
einen Fall eine variable Stärke der Empfindungen nur auf eine verschiedene 
Stärke der Reize beziehen, oder im andern Fall annehmen, dass die Reize un¬ 
verändert geblieben seien und daher die Veränderung der Empfindung nur von 
Schwankungen der Reizbarkeit herrühren könne. Da wir nun bei der Schätzung 
unserer Empfindungen thatsächlich sehr häufig von solchen Voraussetzungen aus¬ 
gehen und nicht selten auch aus bestimmten Gründen dazu berechtigt sind, so 
dürften die von G. E. Müller3) gegen diese Betrachtung geltend gemachten 
Einwände nicht stichhaltig sein. Anderseits ist freilich zuzugestehen, dass teleo¬ 
logische Argumente überhaupt nicht von entscheidendem Werthe und dass sie 
von sehr dehnbarer Natur sind, wie der Umstand beweist, dass aus ganz ähn¬ 
lichen Zweckrücksichten Hering eine einfache Proportionalität zwischen Reiz 
und Empfindung verlangte. 
1) Berichte der sächs. Ges. d. Wiss. Math.-phys. CI. 
2) J. J. Müller hat (a. a. O. S. 830 ff.) eine andere 
egeben. 
3) A. a. 0. S. 410. 
1 870; S. 328. 
weniger elementare Ableitung
	        
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