Mathematischer Ausdruck des Beziehungsgesetzes.
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um so mehr als diese Erwägungen Voraussetzungen einschließen, die theils
überhaupt zweifelhaft sind, wie die Annahme der oscillatorischen Erregungs-
processe und ihrer Ausgleichung mit den äußeren Reizen, theils nur in sehr
beschränkten, für einzelne Sinnesgebiete gültigen Thatsachen ihre Stütze finden,
wie die Annahme positiver und negativer Empfindungen.
Von weiteren Correcturen absehend haben endlich Langer1) und G. E.
Miller2) vorgeschlagen, die Fundamentalformel in der Weise umzugestalten,
dass sie für alle merklichen Empfindungen dem Webe r ’ s ch en Gesetze entspricht,
dass aber die negativen Empfindungen verschwinden, also, wenn wir wieder
die Reizschwelle zur Einheit nehmen, für I\ = 1 und R <d \ E — 0 wird.
Di eser Bedingung kann natürlich genügt werden, aber die Formel, die man
erhält3), ist so complicirt, dass sie selbst dann, wenn der Widerspruch gegen
das negative Vorzeichen berechtigt wäre, schwerlich jemals zur Anwendung
kommen wiirde 4).
Schließlich seien hier noch einige Versuche der Deutung des Weber-
sehen Gesetzes und der Fundamentalformel erwähnt, welche zu der
oben gegebenen psychologischen Erklärung derselben theils im Gegensatz stehen,
theils wenigstens von ihr abweichen. Eine physiologische Deutung des Gesetzes
zu Grunde legend, entwickelte Bernstein specielle Voraussetzungen über die
Erregungsleitung in den Nervencentren, aus denen er die Fundamentalformel
ableitete. Bernstein, dem sich Ward anschließt, vermuthet, dass die lang¬
samere Steigerung der Empfindung mit wachsendem Reize in einem Widerstande
ihren Grund habe, welcher sich der Fortpflanzung der Erregung entgegensetze,
indem er sich dabei auf die Hemmungserscheinungen beruft, die von der cen¬
tralen Substanz ausgehen5). Um nun die logarithmische Function zu erklären,
setzt er voraus, I dass die Hemmung innerhalb der centralen Substanz pro¬
portional der Große des Reizes sei, 2) dass die Zahl der Ganglienzellen, welche
von der Erregung ergriffen werden, ebenfalls proportional der Reizstärke zu¬
nehme, und 3) dass die Intensität einer Empfindung von der Menge der erregten
Ganglienzellen abhänge. Diese Voraussetzungen sind aber ganz und gar will¬
kürlich, und insbesondere hat die dritte derselben wohl nur eine sehr geringe
Wahrscheinlichkeit. Uebrigens führt die psychologische Deutung keineswegs,
wie Bernstein glaubt6 , »zu dem absurden Schlüsse, dass wir für die natür¬
lichen Logarithmen einen angeborenen Sinn haben (c, vielmehr beruht diese
Aeußerung auf einer gänzlichen Verkennung der Bedeutung mathematischer For¬
meln, Ungefähr mit demselben Rechte ließe sich gegen Bernstein’s
eigene
sie
beruhe auf der Voraussetzung, dass wir eine
in unserm Gehirn be~
der Zahl der Ganglienzellen
Erklärung geltend machen,
angeborene Kenntniss von
sitzen.
Eine Ableitung des Maßgesetzes aus dem Princip der Zweckmäßigkeit,
welche übrigens mit jeder der drei allgemeineren Auffassungen desselben ver-
1) Die Grundlagen der Psyehophysik, S. 60 ff.
2) Zur Grundlegung der Psyehophysik, S. 373.
3) Müller a. a. 0. S. 374.
4) Zur Kritik der verschiedenen Formulirungsversuche vgl. A. Köhler, Phil. Stud.,
Ill, S. 580 ff.
5) Reichert’s und du Bois Reymond’s Archiv 1 868, S. 38S. Untersuchungen überden
Erregungsvorgang, S. 178. Ward, Mind, Oct. 1 876, p. 460.
6) Reichert's und du Bois Reymond's Archiv a. a. O. S. 392.