Mathematischer Ausdruck des Beziehungsgesetzes.
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stündlich die algebraische Summirung im Gebiet der Empfindungen nur im
selben Sinne zur Anwendung bringen, in welchem die Bezeichnungen -f- und —
gebraucht worden sind ; nicht den Empfindungen als solchen, noch weniger den
ihnen entsprechenden Reizen galt aber diese Anwendung, sondern der Ent¬
fernung von der Reizschwelle als der Grenze des Ueber- und
Unter merklichen. Zwei Empfindungen -f- a und — a sind darum aller¬
dings ebenso wenig zusammen gleich null wie zwei gleich große gerade Linien
von entgegengesetzter Richtung, wohl aber muss eine Empfindung — a um
ebenso viel wachsen, wie eine Empfindung -f- a abnehmen muss, damit sie null
werde, und jedes Wachsthum in der Richtung des Uebermerklichen kann durch
eine gleich große entgegengesetzte Bewegung in der Richtung des Untermerk¬
lichen aufgehoben werden. Ebenso wenig hat man sich vor metaphysischen
Gespenstern zu fürchten, wenn die dem Reize Null entsprechende Empfindung
als negativ unendlich bezeichnet wird. Die Psychophysik kennt wie die Physik
keine absolute Unendlichkeit, sondern unendlich ist in einem gegebenen Fall
stets diejenige Große, gegen welche jede andere in Betracht gezogene Große
verschwindet. In diesem Sinne ist in dem gegenwärtigen Zusammenhang negativ
unendlich eine Empfindung, welche von der Grenze der Merklichkeit weiter als
jede Empfindung von messbarer Große entfernt ist. Es ist übrigens zu bemerken,
dass in älterer Zeit auch in der Mathematik die Anwendungen der Begriffe des
Negativen und des Unendlichen ähnlichen Bedenken begegnet sind1).
Versuche empirische Formeln aufzustellen, welche eine größere Ueber-
einstimmung mit der Erfahrung erzielen sollten, sind verschiedene gemacht
worden. Von der Erwägung ausgehend, dass einerseits bei schwachen Erregun¬
gen namentlich beim Sehorgan subjective Reize sich geltend machen, und dass
anderseits die Existenz der Reizhöhe ein Steigen der Empfindung über einen
gewissen Maximalwerth verhindert, suchte Helmholtz2) die Fundamentalformel
in folgender Weise zu ergänzen. Bezeichnet man die als constant angenom¬
mene subjective Erregung, durch welche sich das Sinnesorgan stets über der
Reizschwelle befindet, durch 7f0, so erhält man statt der Fundamentalformel die
Gleichung
dE
clR
Ti + W0 *
Nimmt man ferner an, dass C keine Constante sei, sondern eine Function
von 7?, welche die Form besitze C =
j——, worin b eine sehr große Zahl
bezeichne, so wird C für mäßige Werthe von R annähernd unveränderlich
sein, bei sehr großen Werthen von R aber rasch abnehmen. Man erhält dem¬
gemäß
ad R
dE
(b 4- R) (Rö + R)’
und hieraus
E
a
R
o
log.
Ro + R
b + R
+ H.
Nach dieser Formel würde die relative Unterschiedsempfindlichkeit bei sehr ge-
1) Vgl. hierzu Alfr. Köhler, Phil. Stud. Ill, S. 5S8 ff.
2) Physiologische Optik S. 34 2 f.