Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

Mathematischer Ausdruck des Beziehungsgesetzes. 
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auch die Empfindung unendlich große positive Werthe erreicht, liegt nach dieser 
5 oraussetzung nicht in dem Gesetz ihres Wachsthums sondern in den nämlichen 
physiologischen Bedingungen der Reizempfänglichkeit begründet, welche die 
oberen Abweichungen herbeiführen. Die Empfindung wächst zwar immer lang¬ 
samer, aber wäre man im Stande die Nervenerregung in’s unbegrenzte zu stei¬ 
gern, so würde auch die Merklichkeit der Empfindung in’s unendliche wachsen. 
Immerhin liegt die Thatsache der Reizhöhe insofern auch schon in dem all¬ 
gemeinen Gesetz angedeutet, als von einer gewissen Grenze m an jeder end¬ 
lichen Steigerung des Reizes nur noch eine unendlich kleine Zunahme der 
Empfi ndung correspondirt. 
Außer den oben erwähnten drei Fundamentalwerthen des Reizes, dem 
Null-, Schwellen- und Höhenwerth, lässt sich noch ein vierter aufstellen, 
welcher in der Form des Weber sehen Gesetzes seinen Grund hat und wahr¬ 
scheinlich für gewisse Eigenthtimlichkeiten der Empfindung von Wichtigkeit wird. 
Betrachten wir nämlich die in der Fundamentalformel gegebene allgemeinste 
Form unseres Gesetzes, so drückt dieselbe augenscheinlich nicht bloß aus, dass 
für den ganzen Empfindungsumfang jede unendlich kleine Aenderung der Em¬ 
pfindung proportional ist dem 
Verhältnisse 
(IR 
~R~ 
sondern auch 
dass, so lange sich die Reiz¬ 
größe R nicht merklich ändert, 
die unendlich kleine Empfin¬ 
dungsänderung dE der unend¬ 
lich kleinen Reizänderung d R 
proportional bleibt. Mit andern 
Worten: so lange der Reiz 
merklich constant ist, kann 
die Functionsbeziehung zwi¬ 
schen Empfindlings- und Reiz¬ 
änderung als eine lineare 
betrachtet werden, was in 
der graphischen Yersinnlichung sich darin zu erkennen gibt, dass jedes kleinste 
Stück der Curven Fig. 119 oder Fig. 120 als Theil einer geraden Linie an¬ 
gesehen werden kann. Nun erkennt man aber sogleich, dass die Richtungs- 
änderung im Verhältnis zur Steilheit des Ansteigens an verschiedenen Punkten 
eine sehr verschiedene Geschwindigkeit hat. Diejenige Stelle, welche die ge¬ 
ringste relative Geschwindigkeit der Richtungsänderung zeigt, liegt offenbar 
in beiden Curven etwas nach rechts von a: hier kann das verhältnismäßig 
größte Stück der Curve als eine gerade Linie betrachtet werden, welche, 
wenn man sie verlängert denkt, in nicht zu weiter Entfernung die Abscis- 
senaxe schneidet. In diesem Theil der Curve kann also clR verhältnismäßig 
die größten Werthe erreichen, ohne dass clE aufhört proportional zu wach¬ 
sen. Die diesem ausgezeichneten Punkt entsprechende Reizgröße nennen wir 
mit Fechxer 1 den Cardinalwerth des Reizes. Da bei a die Empfin¬ 
dung rascher, bei m aber langsamer wächst als der Reiz, so muss der dem 
Cardinal werth entsprechende Punkt der Curve zwischen diesen beiden Yerlaufs- 
I) Elemente der Psychophysik, II, S. 49. 
Wundt, Grunclziige. 3. Au fl. 
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