Maßmethoden der Empfindung.
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3] Die Methode der mittleren Fehler. Sie stützt sich auf die
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Erwägung, dass, je kleiner der Unterschied des Reizes ist, der in der
Empfindung merklich wird, um so kleiner auch derjenige Reizunterschied
sein werde, welcher nicht mehr merklich ist, Man darf daher voraus¬
setzen, dass die Genauigkeit, mit welcher, wenn ein erster Reiz gegeben
ist, ein zweiter nach der Empfindung abgestuft wird, um demselben gleich
zu werden, der Größe der Unterschiedsschwelle umgekehrt proportional
sei. Demgemäß sucht man im Vergleich mit einer gegebenen Reizstärke
eine zweite so abzustufen, dass sie eine von der ersten nicht zu unter¬
scheidende Empfindung erzeugt. Die Präcision, mit der dies geschieht,
ist umgekehrt proportional dem durchschnittlich begangenen Fehler. Da
nun weiterhin die Genauigkeit der Bestimmungen um so größer sein wird,
je kleinere Empfindungsunterschiede wir zu schätzen vermögen, so muss
auch die Unterschiedsempfindlichkeit zu dem begangenen Fehler in reci-
prokem Verhältnisse stehen. Maßgebende Werthe für den Betrag dieses
Fehlers erhält man aber erst aus zahlreichen Einzelbeobachtungen, da der
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im einzelnen Fall begangene Fehler von dem einem fortwährenden Wech-
sei unterworfenen Stand des Bewusstseins und andern Nebenumständen
mitbestimmt ist, welche erst in einer großem Zahl von Versuchen sich
ausgleichen lassen. Das Mittel der in einer großen Zahl von Beobachtungen
erhaltenen einzelnen Fehler ist der mittlere Fehler. Derselbe kann
in zwei Bestandteile zerlegt werden, in einen const an ten Mittelfehler,
der von der Zeit- und Raumlage der mit einander verglichenen Empfin¬
dungen abhängt, und der bei einer bestimmten Zeit- und Raumlage einen
bestimmten positiven oder negativen Werth hat, und in einen variabeln
Mittelfehler, der aus einer positiven und einer negativen Componente
besteht, die beide ihrem absoluten Werthe nach einander gleich sein
müssen. Diesem variabeln Mittelfehler ist die Unterschiedsem¬
pfindlichkeit reciprok. Derselbe muss daher aus dem rohen mittleren
Fehler durch Elimination des constanten Fehlers d. h. der Einflüsse der
Zeit- und Raumlage der Reize gefunden werden1).
Die Methode der mittleren Fehler geht aus der Methode der Mini¬
maländerungen unmittelbar dann hervor, wenn man sich bei derselben
auf die Feststellung der eben un ter merklich en Reizunterschiede
beschränkt. Bei der Ausführung größerer Versuchsreihen zum Behufe
dieser Feststellung ergeben sich dann von selbst jene Schwankungen,
welche zu einer Trennung des constanten und variabeln mittleren Fehlers
und zur Verwerthung des letzteren für die Bestimmung der Unterschieds-
1) Fechser, Elemente der Psychophysik I, S. 4 20. Revision der Hauptpunkte der
Psychophysik S. 104. G. E. Müller a. a. O. S. 71.