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Intensität der Empfindung.
2) Die Methode der mittleren Abstufungen (auch Methode der
tibermerklichen Unterschiede genannt). Sie kommt, obgleich in ihrer
psychophysischen Anwendung viel jünger als die vorangegangene und die
folgenden Methoden, demjenigen Verfahren, nach welchem wir im praktischen
Leben Empfindungen abschätzen, am nächsten. So lange wir uns darauf
beschränken je zwei qualitativ übereinstimmende Empfindungen in Bezug
auf ihre Intensität zu vergleichen, vermögen wir nur anzugeben, ob sie
wenig oder sehr verschieden sind in ihrer Stärke ; eine nähere quantita¬
tive Bestimmung ist aber, so lange uns nicht Associationen zu Hülfe
kommen, unmöglich. Dies wird anders, sobald drei Empfindungen zur
Vergleichung herbeigezogen werden. Wir vermögen dann im allgemeinen
leicht zu entscheiden, ob sich diejenige Empfindung, welche zwischen
der schwächsten und stärksten liegt, näher bei der ersten oder der zwei¬
ten befinde, oder ob sie etwa gleich weit von beiden entfernt sei. Stuft
man demgemäß je drei Reize allmählich so ab, dass der mittlere nach
unserer Schätzung genau zwischen dem ersten und dritten die Mitte hält,
so lässt sich durch die wiederholte Anwendung dieses Verfahrens eine
Reizscala hersteilen, deren Intervalle gleich großen Intervallen unserer
Empfindungsschätzung entsprechen. Um eine stetige Reizscala zu erhalten,
nimmt man zuerst die zwei verschiedensten Reizintensitäten A und 0, die
zur Vergleichung kommen sollen, und sucht einen mittleren Reiz M auf,
der genau zwischen A und 0 in der Mitte zu liegen scheint. Dann ver¬
fährt man in ähnlicher Weise mit A und .!/, mit J/ und 0 u. s. w. Misst
man schließlich die physikalische Intensität der sämmtliclien zur Anwen¬
dung gekommenen Reize, so ergibt sich hieraus unmittelbar die Beziehung
zwischen der wirklichen und der von uns mittelst der Intensität der
Empfindung geschätzten Reizstärke. Bezeichnen wir die auf einander
folgenden Werthe der durch mittlere Abstufung gewonnenen Reizseal a
mit rx, r2, r3, r4
*7
so werden die Quotienten
To
w
n
r->
n_
«
r-s '
größer wTerden, je mehr die Unterschiedsempfindlichkeit abnimmt.
um so
und es
werden daher unmittelbar ihre reciproken Werthe . . . als Maße
der Unterschiedsempfindlichkeit benutzt werden können. Für die Ge¬
winnung zuverlässiger Resultate ist es unerlässlich, diese Methode mit
derjenigen der Minimaländerungen zu combiniren, indem man die mittlere
Empfindungsstärke jedesmal durch langsame Abstufung zuerst von einer
niedrigeren, dann von einer höheren Reizstärke aus aufsucht und aus den
so erhaltenen Werthen das Mittel zieht1).
1) Plateau, Bulletin de l’acad. roy. de Belgique, t. XXXIII, p. 376. J. Delboeuf,
Etude psychophysique. Bruxelles 1 873, p. 50. Alfr. Lehmann, Phil. Stud. Ill, S. 497.