Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

Maßmethoden der Empfindung. 
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bestimmter Nervengebiete dem Reiz völlig unabhängig, unberührt von der be- 
sondern Beschaffenheit desselben, gegenüber, sondern sie richtet sich wesent¬ 
lich nach der letzteren, indem die Qualität der Empfindung ursprünglich nur 
aus der Einwirkung einer bestimmten Reizform auf die Nervensubstanz hervor¬ 
geht. Trotzdem wird die Empfindung nicht mit dem äußeren Reiz identisch, 
sondern sie bleibt die subjective Form, in der unser Bewusstsein auf bestimmte 
Nervenprocesse reagirt. Der wesentliche Unterschied von der Hypothese der 
specilischen Energie besteht darin, dass diese die Empfindung lediglich von 
den Th eilen bestimmt sein lässt, in welchen der Reizungsvorgang abläuft, 
während wir in der Form dieses Vorgangs den nächsten Grund für die Qua¬ 
lität der Empfindung erkennen. Es braucht aber kaum darauf hingewiesen zu 
werden, dass diese Anschauung auch die psychologisch begreiflichere ist. Wir 
können uns sehr wohl vorstellen, dass unser Bewusstsein qualitativ bestimmt sei 
durch die Beschaffenheit der Processe, welche in den Organen, die seine Träger 
sind, ablaufen; es wird uns aber schwer zu denken, wie dieses qualitative Sein 
nur mit den Örtlichen Verschiedenheiten jener Processe veränderlich sein soll. 
Man müsste mindestens neben den örtlichen noch andere innere Verschieden¬ 
heiten annehmen. Dann ist man aber von selbst bei unserer Anschauung an¬ 
gelangt, denn dass nebenbei die einzelnen Provinzen des Nervensystems in die 
verschiedenen Functionen sich theilen, leugnen wir keineswegs. Nur haben 
diese örtlichen Verschiedenheiten für unser Bewusstsein, das sich den Raum und 
alle räumlichen Beziehungen erst construiren muss, weder einen ursprünglichen 
noch einen absolut unveränderlichen Wertli1). 
Achtes Capitel. 
Intensität der Empfindung. 
1. Maßmethoden der Empfindung. 
Dass jede Empfindung eine gewisse Intensität besitzt, in Bezug auf 
welche sie mit andern Empfindungen, namentlich mit solchen von über¬ 
einstimmender Qualität, verglichen werden kann, ist eine unmittelbare 
■1) Vom Standpunkte der Entwicklungstheorie aus hat wohl zuerst G. H. Lewes 
die Hypothese der specifischen Energien bekämpft. (Physiology of common life. Lon¬ 
don 1 800, chap. VIII. Problems of life and mind. London 1 874, p. 135.) Aehnliche 
Einwände machte später A. Horwicz geltend. (Psychologische 'Analysen auf physio¬ 
logischer Grundlage. Halle 1872, I, S. 108.) Ohne diese Ausführungen zu kennen, 
wurde ich bei der Ausarbeitung der ersten Auflage des vorliegenden Werkes (1872) 
von der Physiologie der Nervencentren und Sinnesorgane aus zu der Ueberzeugung ge¬ 
führt, dass jene Hypothese unhaltbar sei und auf die theoretischen Anschauungen, die 
in den genannten Gebieten in der neueren Zeit zur Geltung gekommen sind, zum 
Theil einen schädlichen Einfluss ausgeübt habe. 
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