Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

271 
Theorie der Nervenerregung. 
der erregenden und hemmenden Wirkungen bestimmten Folge Über die 
Zeit vertheilen. Zunächst folgt also, dem Stadium der Unerregbarkeit 
entsprechend, eine Anhäufung vorräthiger Arbeit, indem der Reizanstoß 
zahlreiche Molecüle aus ihren bisherigen Verbindungen löst. Hierauf be¬ 
ginnt eine Verbrennung, welche wohl von den losgerissenen Theilchen 
ausgeht und dann die leicht verbrennlichen Bestandteile der Nervenmasse 
überhaupt ergreift, wobei also eine große Menge vorräthiger sich in wirk¬ 
liche Arbeit umwandelt. Geschieht diese Verbrennung sehr schnell, so 
überwiegt wieder während einer kurzen Zeit die negative Moleculararbeit. 
die Restitution complexer Molecüle (vorübergehende Hemmungen). Im 
allgemeinen aber bleibt nach dem Ablauf der Zuckung noch längere Zeit 
ein Ueberschuss positiver Moleculararbeit, der sich in der verstärkten 
Wirkung eines hinzutretenden zweiten Reizes kundgibt. Die nämlichen 
Curven, durch welche wir uns die Beziehungen von Erregung und Hem¬ 
mung versinnlichten, gelten daher auch für das Verhältniss der positiven 
zur negativen Moleculararbeit (Fig. 83, S. 264). Das Gleichgewicht 
zwischen beiden während des Ruhezustandes wird durch die Gleichheit 
der Anfangs- und Endordinaten xa, xc und xb, xd ansedeutet. Im 
O 7 7 
allgemeinen ist aber der innere Zustand des Nerven, nachdem der 
Reizungsvorgang vorbeigegangen ist, nicht mehr genau derselbe wie vor¬ 
her, denn es ist nicht nur in jedem Moment der Reizung das Gleich¬ 
gewicht zwischen positiver und negativer Arbeit gestört, sondern es ist 
auch im ganzen mehr an positiver Arbeit ausgegeben als an negativer, 
an Arbeitsvorrath gewonnen worden. Dies spricht sich darin aus, dass 
der Flächenraum der obern Curve größer als derjenige der untern ist, 
ein Unterschied der um so bedeutender wird, je mehr der Nerv sich 
erschöpft. Mit der Zeit wird dieser immer unfähiger zu jener Restitution 
seiner zusammengesetzten Bestandtheile, auf welcher die Wiederherstellung 
seiner Arbeitsfähigkeit beruht. Der leistungsfähige Nerv erholt sich daher 
leichter, und je erschöpfter der Nerv schon ist, um so erschöpfender 
wirken neue Reizungen. 
o 
Von der ganzen Summe positiver Moleculararbeit, welche durch den 
Reiz im Nerven frei wird, wandelt sich ohne Zweifel immer nur ein Theil 
in erregende Wirkungen um oder geht, wie wir uns ausdrücken können, 
über in Erregungsarbeit, ein anderer Theil mag zu Wärme, ein dritter 
wieder zu vorräthiger (negativer) Arbeit werden. Die Erregungsarbeit 
ihrerseits wird nur zum Theil zur Auslösung äußerer Reizeffecte, Muskel¬ 
zuckung oder Reizung von Ganglienzellen, verwendet, da während der 
Zuckung und nach derselben immer noch gesteigerte Reizbarkeit besteht. 
Ein neu hinzutretender Reiz findet also immer noch einen Ueberschuss von 
Erregungsarbeit vor. Erfolgt kein neuer Reizanstoß, so geht jener Ueber-
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.