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Theorie der Nervenerregung.
der erregenden und hemmenden Wirkungen bestimmten Folge Über die
Zeit vertheilen. Zunächst folgt also, dem Stadium der Unerregbarkeit
entsprechend, eine Anhäufung vorräthiger Arbeit, indem der Reizanstoß
zahlreiche Molecüle aus ihren bisherigen Verbindungen löst. Hierauf be¬
ginnt eine Verbrennung, welche wohl von den losgerissenen Theilchen
ausgeht und dann die leicht verbrennlichen Bestandteile der Nervenmasse
überhaupt ergreift, wobei also eine große Menge vorräthiger sich in wirk¬
liche Arbeit umwandelt. Geschieht diese Verbrennung sehr schnell, so
überwiegt wieder während einer kurzen Zeit die negative Moleculararbeit.
die Restitution complexer Molecüle (vorübergehende Hemmungen). Im
allgemeinen aber bleibt nach dem Ablauf der Zuckung noch längere Zeit
ein Ueberschuss positiver Moleculararbeit, der sich in der verstärkten
Wirkung eines hinzutretenden zweiten Reizes kundgibt. Die nämlichen
Curven, durch welche wir uns die Beziehungen von Erregung und Hem¬
mung versinnlichten, gelten daher auch für das Verhältniss der positiven
zur negativen Moleculararbeit (Fig. 83, S. 264). Das Gleichgewicht
zwischen beiden während des Ruhezustandes wird durch die Gleichheit
der Anfangs- und Endordinaten xa, xc und xb, xd ansedeutet. Im
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allgemeinen ist aber der innere Zustand des Nerven, nachdem der
Reizungsvorgang vorbeigegangen ist, nicht mehr genau derselbe wie vor¬
her, denn es ist nicht nur in jedem Moment der Reizung das Gleich¬
gewicht zwischen positiver und negativer Arbeit gestört, sondern es ist
auch im ganzen mehr an positiver Arbeit ausgegeben als an negativer,
an Arbeitsvorrath gewonnen worden. Dies spricht sich darin aus, dass
der Flächenraum der obern Curve größer als derjenige der untern ist,
ein Unterschied der um so bedeutender wird, je mehr der Nerv sich
erschöpft. Mit der Zeit wird dieser immer unfähiger zu jener Restitution
seiner zusammengesetzten Bestandtheile, auf welcher die Wiederherstellung
seiner Arbeitsfähigkeit beruht. Der leistungsfähige Nerv erholt sich daher
leichter, und je erschöpfter der Nerv schon ist, um so erschöpfender
wirken neue Reizungen.
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Von der ganzen Summe positiver Moleculararbeit, welche durch den
Reiz im Nerven frei wird, wandelt sich ohne Zweifel immer nur ein Theil
in erregende Wirkungen um oder geht, wie wir uns ausdrücken können,
über in Erregungsarbeit, ein anderer Theil mag zu Wärme, ein dritter
wieder zu vorräthiger (negativer) Arbeit werden. Die Erregungsarbeit
ihrerseits wird nur zum Theil zur Auslösung äußerer Reizeffecte, Muskel¬
zuckung oder Reizung von Ganglienzellen, verwendet, da während der
Zuckung und nach derselben immer noch gesteigerte Reizbarkeit besteht.
Ein neu hinzutretender Reiz findet also immer noch einen Ueberschuss von
Erregungsarbeit vor. Erfolgt kein neuer Reizanstoß, so geht jener Ueber-