Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Physiologische Mechanik der Nervensubstanz. 
linderungen des Elektrotonus fand auch Bernstein1) die verhältnissmäßig ge¬ 
ringe Geschwindigkeit von 8—9 Meter in der Secunde. 
3. Theorie der Nervenerregung. 
Als wir oben den wahrscheinlichen Molecularzustancl des Nerven ins 
Auge fassten, haben wir gesehen, dass in demselben fortwährend positive 
und negative Moleculararbeit geleistet wird. Die positive Moleculararbeit 
für sich würde entweder als frei werdende Wärme oder als äußere Arbeit, 
z. B. Muskelzuckung, sich zu erkennen geben; die negative Moleculararbeit 
für sich würde ein Verschwinden solcher Arbeitsleistungen, Latentwerden 
von Wärme oder Hemmung einer ablaufenden Muskelreizung, bedingen. 
Das Gleichgewicht zwischen positiver und negativer Moleculararbeit aber 
führt den stationären Zustand des Nerven mit sich, in welchem weder 
die Temperatur desselben geändert noch eine äußere Arbeit geleistet wird. 
Wenn wir nun unter dem Einfluss eines äußeren Reizes einen Vorgang 
entstehen sehen, welcher entweder eine Muskelzuckung hervorruft oder 
auch nur dem prüfenden Reize gegenüber als gesteigerte Reizbarkeit sich 
kundgibt, so bedeutet dies offenbar, dass die positive Moleculararbeit 
.zugenommen hat. Wenn umgekehrt eine ablaufende Muskelzuckung ge¬ 
hemmt wird oder die Reaction gegen einen Prüfungsreiz abnimmt, so 
bedeutet dies, dass die negative Moleculararbeit größer geworden ist. 
Somit kommen wir zu dem allgemeinen Satze: durch den Anstoß 
des Reizes wird sowohl die positive wie die negative Mole¬ 
culararbeit des Nerven vergrößert. Nach den früher geführten 
Erörterungen werden wir uns also vorstellen, dass der Reizanstoß sowohl 
die Vereinigung der Atome complexer chemischer Molecüle zu festeren 
Verbindungen als auch den Wiederaustritt aus diesen und die Rückkehr 
in jene loseren und zusammengesetzteren Verbindungen beschleunigt, aus 
welchen die Nervensubstanz besteht. Auf der Restitution dieser complexen 
Molecüle beruht die Erholung des Nerven, aus der Verbrennung zu festeren 
und schwerer zersetzbaren Verbindungen geht seine Arbeitsleistung her¬ 
vor, auf ihr beruht aber auch seine Erschöpfung. Aeußere Arbeit, Muskel¬ 
zuckung oder Erregung von Ganglienzellen, kann der Reiz nur dadurch 
herbeiführen, dass er die positive Moleculararbeit stets in be¬ 
deutenderem Grade als die negative beschleunigt. Aus der 
ersteren wird dann jene Arbeit der Erregung hervorgehen, welche an 
bestimmte Organe, Muskeln oder Ganglienzellen, übertragen noch weiter 
in andere Formen von Arbeit transformirt werden kann. Zugleich müssen 
sich positive und negative Moleculararbeit in der durch das Verhältniss 
1) Monatsber. der Berliner Akad. 1880, S. 186.
	        
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