Verlauf der Reizungsvorgänge in der Nervenfaser.
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Controlbeobachtungen wegen des Einflusses der Widerstandsänderungen der
verschiedenen Theile des Nerven erforderlich. Da nämlich der elektrische Strom
eine Bewegung der Flüssigkeiten des Nerven von der positiven gegen die nega¬
tive Elektrode bewirkt, so könnte möglicherweise die Erregung an der Kathode
von der Abnahme, die Hemmung an der Anode von der Zunahme des Leitungs¬
widerstandes bedingt sein. Versuche, bei denen die Widerstandsänderungen
compensirt werden, zeigen jedoch, dass dieselben an den oben dargestellten
Erscheinungen keinen irgend in Betracht kommenden Antheil besitzen *).
Die dauernden Wirkungen des constantcn Stromes zur Seite der beiden
Elektroden wurden zuerst von Pflüger nachgewiesen. Auch fand er bereits
im allgemeinen, dass die katelektrotonischen Veränderungen der Erregbarkeit
nahezu momentan, die anelektrotonisclien dagegen verhältnismäßig langsam sich
ausbreiten1 2 . Mit Hülfe des oben angegebenen Versuchsverfahrens habe ich
sodann den zeitlichen Verlauf der Vorgänge sowohl bei Reizung mit dem con¬
stant en Strom wie mit andern Erregungsmitteln näher verfolgt. Hinsichtlich
des constanten Stroms gelangten Tsciiirjew3) sowie Hermann und seine Schüler4)
zu nicht ganz übereinstimmenden Ergebnissen, indem der erstere eine der ge¬
wöhnlichen Fortpflanzung der Reizung annähernd gleiche Geschwindigkeit der
Hemmungswelle, die letzteren sogar einen momentanen Eintritt der extrapolaren
Veränderungen zu finden glaubten. Die Resultate dieser Beobachter sind aber
insofern mit meinen Versuchen nicht vergleichbar, als sich dieselben lediglich
darauf beschränkten gleichzeitig mit dem Schließen eines aufsteigenden con¬
stanten Stroms zur Seite der positiven Elektroden einen schwachen Reiz anzu¬
wenden, der ohne den constanten Strom nur eine minimale Zuckung auslöste.
Sie beobachteten dann, dass diese Zuckung entweder sehr schnell nach dem
Eintritt des Stromes (Tsciiirjew) oder gleichzeitig mit demselben (Hermann)
unterdrückt wurde. Damit ist aber höchstens bewiesen, dass die ersten Spuren
der Heinmungswelle schon sehr bald oder sogar in einer für die angewandten
Messvorrichtungen verschwindenden Zeit in einer der Anode nicht allzu weit
entfernten Strecke zu bemerken sind. Ueber das allmähliche Anwachsen dieser
Welle können aber nur Beobachtungen Autschluss geben, bei denen man suc-
cessiv in verschiedenen Entfernungen von der Anode einen nicht-minimalen
Prüfungsreiz anwendet und nun aus dem allmählichen Abnehmen der Zuckung den
zeitlichen Verlauf der sich entwickelnden Vorgänge entnimmt, wie dies z. B.
die Figg. 4, b und 7 (S. 26, 36, 52) meiner Arbeit deutlich zeigen, wo unmit¬
telbar die Aufzeichnungen des Froschmuskels wiedergegeben sind. Die obigen
Zahlen für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Hemmungswelle beziehen
sich daher auch lediglich auf die Zeit, die bis zum vollen Eintritt der anodi¬
schen Hemmung verfließt. Nach den Versuchen von Tschirjew und Hermann,
mit denen auch eine vorläufige Mittheilung Grüniiagen’s5) im wesentlichen
übereinstimmt, scheint es übrigens nicht unwahrscheinlich, dass die langsame
Entwicklung der Heinmungswe 11 e hauptsächlich dem langsameren Anwachsen
derselben zuzuschreiben ist. Für die Fortpflanzung der elektrischen Ver-
1) Ebend. S. 257 ff.
2) Pflüger, Untersuchungen über die Physiologie des Elektrotonus. Berlin 1859.
3} Archiv f. Physiologie 1879, S. 525 ff.
4) Pflüger’s Archiv NXI, S. 446 fif.
5; Pflüger’s Archiv IV, S. 547.