Verlauf der Reizungsvorgänge in der Nervenfaser.
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Curve cd gemessen wird. Wir nehmen an, dass schon vor der Einwir¬
kung des Reizes erregende und hemmende Antriebe im Nerven vorhan¬
den sind, die sich aber das Gleichgewicht halten: wir setzen sie den
Ordinaten xa und xc proportional. Die Erregungscurve macht in dem
Zeitmoment rn, der dem Ende der Zuckung entspricht, entweder eine
rasche Biegung unter die Abscissenlinie (der vorübergehenden Hemmung
entsprechend), oder sie setzt (wie die untei'brochene Linie andeutet) con-
tinuirlich ihren Verlauf fort. Die Hemmungscurve zeichnet durch rasches
Ansteigen in ihrem Anfang sich aus. Was wir Leistungsfähigkeit
des Nerven nennen, ist nun augenscheinlich eine gleichzeitige Function von
Hemmung und Erregung,
o o o
Je leistungsfähiger der Nerv ist, um so mehr
sind in ihm sowohl die hemmenden wie die erregenden Kräfte gesteigert,
Beim erschöpften Nerven sind beide, vorzugweise aber die hemmenden
Kräfte vermindert. Hier ist daher die Reizbarkeit größer, die vorüber¬
gehenden Hemmungen nach Ablauf der Zuckung sind nicht mehr wahr¬
nehmbar, der ganze Verlauf der Zuckung ist gedehnter, und diese hinter¬
lässt noch eine längere Zeit gesteigerte Reizbarkeit. Aber die Abnahme
auch der erregenden Kräfte spricht sich in der geringeren Höhe der auf
stärkere Reize erfolgenden Zuckungen und in dem langsameren Eintritt
der letzteren aus. Ebenso ist das Stadium der latenten Reizung von län¬
gerer Dauer, der Nerv bedarf also mehr Zeit, um die zur Auslösung der
Muskelzuckung erforderlichen Kräfte zu sammeln1). Erscheinungen, welche
denjenigen gleichen, durch welche sich der herabgesetzte Kräftezustand
verräth, lassen sich durch die Einwirkung der Kälte hervorbringen, wo¬
gegen der Einfluss einer höheren Temperatur umgekehrt in Symptomen
sich äußert, die dem Zustand hoher Leistungsfähigkeit ähnlich sind. Frei¬
lich besteht der Unterschied, dass die Wärmezufuhr den Kräftevorrath
nicht ersetzen kann, dass also, indem durch sie während einer kurzen
Zeit der Nerv zu bedeutenden Leistungsäußerungen fähig ist, nur um so
rascher die inneren Kräfte desselben verbraucht werden2).
Einer besondern Erwähnung bedarf noch die Reizung durch den
eonstanten galvanischen Strom. Dieser wirkt im allgemeinen so¬
wohl bei seiner Schließung wie bei seiner Oeffnung erregend auf den
Nerven, in beiden Fällen ist aber der Reizungsvorgang im Bereich der
Anode ein wesentlich anderer als im Bereich der Kathode. In der Nähe
der letzteren sind bei Strömen von nicht allzu bedeutender Stärke die der
Schließung zunächst folgenden Vorgänge von derselben Beschaffenheit, wie
1) Um die beiden hier geschilderten Zustände des Nerven kurz zu bezeichnen,
habe ich denjenigen, in welchem der innere Kräftevorrath herabgesetzt ist, den asthe¬
nischen, den entgegengesetzten den st heni sehen Zustand genannt. (A. a. O. S. 43
und 242.)
2) Ebend. S. 208.