Verlauf der Reizungsvorgänge in der Nervenfaser.
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Auch diese Resultate sestatten aber noch keinen Einblick in die eisent-
liehe Mechanik der Reizungserscheinungen. Um einen solchen zu gewinnen,
müssen wir uns über den Zustand des Nerven in jedem Moment der auf
die Reizung folgenden Zeit Aufschluss verschaffen. Dies ist nur möglich,
indem man in jedem Moment der Reizungsperiode das Verhalten des Nerven
gegen einen andern, prüfenden Reiz von constanter Größe untersucht.
Auch hier ist natürlich, ebenso wie bei der einfachen Muskelzuckung, die
Trägheit der Muskelsubstanz von mitbestimmendem Einflüsse; aber der¬
selbe wird, ähnlich wie bei den Versuchen über die Fortpflanzung der
Reizung, dadurch eliminirt, dass in solchen Fällen, wo die von der Muskel¬
substanz herrührenden Einflüsse constant bleiben, die beobachteten Ver¬
änderungen nur von veränderten ßedingungen der Reizung im Nerven
herrühren können.
Bei jedem Reizungsvorgange machen sich nun in der Nervenfaser
zwei einander entgegengesetzte Wirkungen geltend: solche, die
auf die Erzeugung äußerer Arbeit (Muskelzuckung, Secretion, Reizung von
Ganglienzellen) gerichtet sind, und andere, welche die frei werdende Arbeit
wieder zu binden streben. Die ersteren wollen wir die erregenden, die
andern die hemmenden Wirkungen nennen. Der ganze Verlauf der
Reizung ist von den in jedem Zeitmoment wechselnden Wirkungen der
Erregung und Hemmung abhängig. Um durch den Prüfungsreiz nachzuwei¬
sen, welcher dieser Vorgänge, ob Erregung, ob Hemmung, im Uebergewicht
sei, kann man entweder Reizungsvorgänge untersuchen, welche hinreichend
schwach sind, dass sie an und für sich keine Muskelzuckung auslösen.
oder es muss, so lange die Muskelcontraction abläuft, der Einfluss der
letzteren eliminirt werden. Dies geschieht, indem man in solchen Fällen,
wo es sich um den Nachweis gesteigerter Reizbarkeit handelt, den Muskel
überlastet, d. h. mit einem so bedeutenden Gewichte beschwert, dass
sowohl die ursprüngliche wie die durch den Piüfungsreiz für sich aus-
gelöste Zuckung unterdrückt wird, so dass höchstens noch eine minimale
Zuckung möglich ist. Löst dann der Prüfungsreiz während des Ablaufs
der ersten Reizung trotzdem eine überminimale Zuckung aus, so deutet
dies auf eine Zunahme der erregenden Wirkungen, und für die Größe
der letzteren gibt die Höhe der Zuckung ein ungefähres Maß ab. Die
Fig. 79 gibt ein Beispiel dieses Verfahrens. Der ReizungsVorgang, um
dessen Untersuchung es sich handelt, ist durch die Schließung eines con-
stanten Stromes in aufsteigender Richtung (wobei also die positive Elek¬
trode dem Muskel näher, die negative von ihm ferner war) hervorgerufen
worden. Diese Schließung erfolgte im Zeitmomente ö. Der nicht über¬
lastete Muskel hat in Folge der Reizung die Zuckung a gezeichnet. Durch
die nun ausgeführte Ueberlastung wurde dieselbe auf die minimale Höhe R