Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

Allgemeine Aufgaben und Grundsätze einer Mechanik der Innervation. 255 
faser, Stärke. Zucker. Eiweißstoffe u. s. w.7 zerlegt, in denen sich eine 
große Menge vorräthiger Arbeit anhäuft, während gleichzeitig Sauerstoff 
ausgeschieden wird. In den Thieren werden jene von der Pflanze er¬ 
zeugten Verbindungen unter Aufnahme atmosphärischen Sauerstoffs, also 
durch einen Verbrennungsprocess, wieder in die festeren Verbindungen 
umgewandelt, aus denen die Pflanze dieselben geschaffen hatte, während 
gleichzeitig die in den organischen Verbindungen angehäufte vorräthige 
Arbeit in wirkliche Arbeit, theils in Wärme theils in äußere Arbeit der 
Muskeln, übergeht. Die Stätte, von welcher aus alle diese Arbeits- 
Jeistungen der Thiere beherrscht werden, ist das Nervensystem. Es 
hält jene Functionen im Gang, welche die Verbrennungen bewirken, es 
regulirt die Vertheilung und Ausstrahlung der Wärme, es bestimmt die 
Muskeln zu ihrer Arbeit. Vielfach, und namentlich in dem letzteren Fall, 
stehen zwar die von dem Nervensystem ausgehenden Wirkungen selbst 
unter dem Einflüsse äußerer Bewegungen, nämlich der Sinneseindrücke. 
Aber die eigentliche Quelle seiner Leistungen liegt nicht in diesen, son¬ 
dern in den chemischen Verbindungen, aus welchen sich die Nervenmasse 
zusammensetzt, und welche in wenig veränderter Form der Werkstätte 
der Pflanze entnommen sind. In ihnen ist die vorräthige Arbeit angehäuft, 
die sich unter dem Einfluss äußerer Reize in wirkliche umsetzt. 
Die Verbindungen, aus denen die Nervenmasse besteht, befinden sich, 
so lange nicht Reizungsvorgänge verändernd einwirken, annähernd in 
jenem stationären Zustande, der nach außen als vollkommene Ruhe er¬ 
scheint. Diese Ruhe ist aber nur eine scheinbare, wie in allen Fällen, 
wo es sich um stationäre Bewmgungszustände handelt. Die Atome jener 
complexen Verbindungen sind in fortwährenden Bewegungen: da und dort 
gerathen sie aus den Wirkungssphären der Atome, mit denen sie bisher 
verbunden waren, hinaus und in die Wirkungssphären anderer, gleich¬ 
falls frei gewordener Atome hinein. Fortwährend wechseln also in einer 
solchen leicht zersetzbaren Flüssigkeit, wie sie die Nervenmasse bildet, 
Schließung und Lösung chemischer Verbindungen, und die Masse erscheint 
nur deshalb stationär, wreil sich durchschnittlich ebenso viele Zersetzungen 
als Verbindungen vollziehen. Im vorliegenden Beispiele ist dies aber nicht 
einmal strenge richtig : der Zustand der Nervenelemente ist auch während 
ihrer Ruhe kein vollkommen stationärer. Bei so complexen Verbindungen 
ereignet es sich nämlich stets, dass die aus ihren bisherigen Wirkungs¬ 
sphären losgerissenen Atome theilweise nicht in dieselben oder ähnliche 
Verbindungen wieder eintreten, aus denen sie ausgeschieden waren, son¬ 
dern dass einige unter ihnen sich zu einfacheren und festeren Verbindungen 
vereinigen. Man bezeichnet diesen Vorgang als Selbstzersetzung. Im 
lebenden Organismus wrerden die von der Selbstzersetzung herrührenden
	        
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