Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Physiologische Function der Centraltlieile. 
einer der fünf Sinnesqualitäten (Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack, Ge¬ 
fühl) auf Reize reagire. Hier war mit der specifischen Energie immer 
noch ein klarer und einfacher Begriff verbunden. Sollten aber Raumsinn, 
Farbensinn, Formensinn oder Verstand, Phantasie, Gedächtniss u. s. w. an 
verschiedene Elementartheile gebunden sein, so wurden nicht nur viel 
mannigfaltigere Functionen, sondern überdies solche vorausgesetzt, mit 
denen ein einfacher Begriff sich schlechterdings nicht mehr verbinden 
ließ. Wir können uns vorstellen, dass eine bestimmte Nervenfaser oder 
eine bestimmte Ganglienzelle nur in der Form der Lichtempfindung oder 
des motorischen Impulses functionire, nicht aber, wie etwa gewisse centrale 
Elemente der Phantasie, andere dem Verstände dienen sollen. Augen¬ 
scheinlich liegt hier der Widerspruch darin, dass man sich complexe 
Functionen an einfache Gebilde gebunden denkt. Wir müssen aber 
nothwendis annehmen, dass elementare Gebilde auch nur eie- 
mentarer Leistungen fällig sind. Solche elementare Leistungen sind 
nun im Gebiet der centralen Functionen Empfindungen, Bewegungsanstöße, 
nicht Phantasie, Gedächtniss u. s. L 
Sogar in diesem beschränkteren Sinne ist jedoch die Annahme einer 
specifischen Energie zweifelhaft geworden. Dieselbe würde nothwendig 
zu der Vorstellung einer unabänderlichen Constanz der Function 
führen: die motorische Nervenfaser oder Ganglienzelle dürfte unter keinerlei 
Umständen zur Leitung oder Uebertragung von Empfindungen sich her¬ 
geben, ja eine bestimmte sensible Faser würde immer nur eine bestimmte 
Art der Sinneserregung zu leiten vermögen. Bei den Nervenfasern 
widerspricht dieser Annahme das nicht zu bezweifelnde doppelsinnige 
Leitungsvermögen1). Wenn die motorischen und die sensibeln Nerven 
L Abgesehen von der doppelseitigen Fortpflanzung der negativen Schwankung des 
Nervenstroms, in der man allerdings nicht mehr als einen Wahrscheinlichkeitsgrund 
für das doppelsinnige Leitungsvermögen wird erblicken können, sind es hauptsächlich 
zwei experimentelle Thatsachen, aus denen das letztere gefolgert werden muss: erstens 
die von Kühne beobachtete Erscheinung, dass Reizung eines motorischen Nervenzweiges 
Zuckungen solcher Muskelpartien auslösen kann, die von Fasern versorgt werden, 
welche höher oben aus dem nämlichen Nerven entspringen (Archiv f. Anat. u. Physiol. 
1859, S. 595), und zweitens die von Paul Bert gemachte Beobachtung, dass der Schwanz 
einer Ratte, nachdem zuerst seine Spitze mit dem Rücken des Thieres verheilt und 
dann seine Basis durchschnitten worden ist, gleichwohl in seiner ganzen Länge em¬ 
pfindlich bleibt (Compt. rend. t. 84, 1 877, p. 173). Die erste dieser Beobachtungen 
beweist, dass die motorische Nervenfaser in centripetaler, die zweite, dass die sen¬ 
sible in centrifugaler Richtung zu leiten vermag. Eine noch directere Bestätigung der 
functionellen Indifferenz peripherischer Nerven suchten Philipeaux und Vulpian zu ge¬ 
winnen, indem sie die Durchschnittsenden eines motorischen und sensibeln Nerven 
(Hvpoglossus und Lingualis) mit einander verheilten und nun durch Reizung des ur¬ 
sprünglich sensibeln Nerventheils Muskelcontractionen auslösten. Neuere Untersuchun¬ 
gen von Vulpian haben jedoch die Beweiskraft dieses Versuchs in Frage gestellt, indem 
sie es wahrscheinlich machten, dass die Erscheinung von beigemengten motorischen 
Fasern (der Chorda tvmpani) herrührt. (Compt, rend. t. 76, 1873, p. 146.)
	        
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