Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

Physiologische Function der Centraltlieile. 
Wicklung im Wirbelthierreich und zweitens bei der engsten Vergleichung 
von Thieren verwandter Organisation und ähnlicher Körpergröße. Im 
letzteren Fall ist eigentlich allein das Resultat ein schlagendes. Vergleicht 
man z. B. die Gehirne verschiedener Hunderassen oder der menschenähn¬ 
lichen Affen und des Menschen, so kann kein Zweifel sein, dass die 
intelligenteren Rassen oder Arten größere und windungsreichere Hemi¬ 
sphären besitzen. Weitaus am bedeutendsten ist dieser Unterschied zwi¬ 
schen dem Menschen und den übrigen Primaten1). 
Wenn nun die Masse und Oberflächenentfaltung des Gehirns zu einem 
um so sichereren Maß der geistigen Anlagen werden, je näher sich die 
der Vergleichung unterworfenen Formen stehen, so wird man erwarten 
dürfen, dass dies im höchsten Grade der Fall sein werde bei Individuen 
der nämlichen Species. In der That ist es für den Menschen durch die 
Beobachtung zweifellos erwiesen, dass Individuen von hervorragender Be¬ 
gabung große und windungsreiche Hemisphären besitzen2). Das physio¬ 
logische Verständniss der Hirnfunctionen wird freilich auch durch dieses 
Ergebniss nicht viel gefördert. So liegt denn die Frage nahe, ob nicht 
eine Beziehung der Massen- und Oberflächenentwicklung der einzelnen 
Theile der Hirnlappen zu bestimmten Richtungen des geistigen Lebens 
sich nachweisen lasse. Die Phrenologie, welche aus dem Bestreben einen 
4) Hu scHKE fand das durchschnittliche Gewicht des männlichen Gehirns germa¬ 
nischer Rasse im Alter zwischen 30 und 40 Jahren = 4 424, des weiblichen Gehirns 
= 4 273 Grm. (Schädel, Hirn und Seele, S. 60). Bei den tiefer stehenden Menschen¬ 
rassen scheint das Hirn an. Gewicht kleiner und namentlich an Windungen ärmer zu 
sein; doch fehlt es darüber an zureichenden Bestimmungen (ebend. S. 73). Sicherer 
sind in dieser Beziehung die Messungen der Schädelcapacität, welche auf das Hirnvolum 
zurückschließen lassen. (Huschke, S. 48 f. Broca, Mémoires d’anthropologie. Paris 
4 874, p. 4 94 .) Ueber das Verhältniss der einzelnen Hirntheile zu einander beim Men¬ 
schen und bei verschiedenen Thieren vgl. Huschke a. a. O. S. 93 f. H. Wagner (Ma߬ 
bestimmungen der Oberfläche des großen Gehirns. Cassel und Göttingen 4 864, S. 35, 
39} fand die Gesammtoberfläche des Gehirns beim Menschen 2196—1877, beim Orang 
533,5 Dem. Das Gewicht des lelzteren Gehirns betrug 79,7 Grm. 
2) Der obige Satz wurde von Gall aufgestellt (Gall und Spurzheim , Anatomie et 
physiol, du système nerveux II, p. 251) und dann von Tiedemann bestätigt (Das Hirn 
des Negers mit dem des Europäers und Orang-Utangs verglichen. Heidelberg 4 837, 
S. 9). R. Wagner, dem man die wissenschaftliche Verwerthung mehrerer Gehirne hervor¬ 
ragender Männer (Gauss, Dirichlet, C. Fr. Hermann u. a.) verdankt, widersprach dem¬ 
selben. (Göttinger geh Änz. 4 860, S. 65. Vorstudien zu einer Wissenschaft!. Morpho¬ 
logie und Physiologie des Gehirns. Göttingen 4 860, S. 33.) C. Vogt (Vorlesungen über 
den Menschen I, S. 98) hat aber mit Recht darauf hingewiesen, dass Wagner’s eigene 
Zahlen für jenen Satz eintreten, wenn man aus denselben diejenigen Beispiele heraus¬ 
greift, welche wirklich Individuen von unzweifelhaft hervorragender Begabung betreffen. 
Zum selben Resultat ist auch Broca gekommen (Mémoires d’anthropologie, p. 4 55. 
Uebrigens bedarf es kaum der Bemerkung, dass auch hier die sonstigen Factoren, wie 
Rasse, Körpergröße, Alter, Geschlecht, in Rücksicht gezogen werden müssen. Ein 
normales Hottentottengehirn würde, hat schon Gratiolet bemerkt, im Schädel eines 
Europäers Idiotismus bedeuten. Außerdem ist die Oberflächenfaltung, namentlich die 
der Stirnlappen, offenbar von wesentlicherer Bedeutung als das Volum oder Gewicht 
des Gehirns. (H. Wagner a. a. O. S. 36.)
	        
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