Volltext: Grundzüge der physiologischen Psychologie, 1. Band, 3.,umgearbeitete Auflage (1)

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Einleitung. 
ungefähr ebenso wie die Naturphilosophie eines Schelling oder Hegel zur 
Entwicklung der neueren Naturwissenschaft. Statt auf die kritisch geprüften 
Begriffe der Erfahrungswissenschaft stützen sich jene metaphysischen Bearbei¬ 
tungen auf die gemeine, unkritische Erfahrung, deren unbestimmte Begriffe in einen 
dialektischen Schematismus geordnet werden, der lediglich einen negativen Er- 
kenntnisswerth besitzt, weil er das wirkliche Wissen durch ein leeres Schein¬ 
wissen ersetzt. ’) 
2. Psychologische Vorhegriffe. 
Der menschliche Geist vermag es nicht Erfahrungen zu sammeln, ohne 
sie gleichzeitig mit seiner Speculation zu verweben. Das erste Resultat 
solchen natürlichen Nachdenkens ist das Begriffssystem der Sprache, ln 
allen Gebieten menschlicher Erfahrung gibt es daher gewisse Begriffe, 
welche die Wissenschaft, ehe sie an ihr Geschäft geht, bereits vorfindet, 
als Ergebnisse jener ursprünglichen Reflexion, die in den Begriffssymbolen 
der Sprache ihre bleibenden Niederschläge zurückließ. So sind Wärme 
und Licht Begriffe aus dem Gebiete der äußeren Erfahrung, welche un¬ 
mittelbar aus der sinnlichen Empfindung hervorgingen. Die heutige Physik 
ordnet beide dem allgemeinen Begriff der Bewegung unter. Aber es wäre 
nicht möglich gewesen dieses Ziel zu erreichen, ohne dass man die Be¬ 
griffe des gemeinen Bewusstseins vorläufig angenommen und mit ihrer 
Untersuchung begonnen hätte. Nicht anders sind Seele, Geist, Vernunft, 
Verstand etc. Begriffe, welche vor jeder wissenschaftlichen Psychologie 
existirten. In der Thatsache, dass das natürliche Bewusstsein überall die 
innere Erfahrung als eine gesonderte Erkenntnissquelle darstelll, kann daher 
die Psychologie einstweilen ein hinreichendes Zeugniss ihrer Berechtigung 
als Wissenschaft erblicken, und indem sic dies thut, adoptirt sie zugleich 
den Begriff Seele, um eben damit das ganze Gebiet der innern Erfahrung 
zu umgrenzen. Seele heißt uns demnach das Subject, dem wir alle ein¬ 
zelnen Thatsachen der innern Beobachtung als Prädicate beilegen. Jenes 
Subject selbst ist überhaupt nur durch seine Prädicate bestimmt, die Be¬ 
ziehung der letzteren auf eine gemeinsame Grundlage soll nichts weiter 
als ihren gegenseitigen Zusammenhang ausdrücken. Hiermit scheiden wir 
sogleich eine Bedeutung aus, die das natürliche Sprachbewuisstsein immer 
mit dem Begriff Seele verbindet. Ihm ist die Seele nicht bloß ein Subject 
im logischen Sinne, sondern eine Substanz, ein reales Wesen, als dessen 
Aeußerungen oder Handlungen die sogenannten Seelenthätigkeiten auf¬ 
gefasst werden. Hierin liegt aber eine metaphysische Voraussetzung, zu 
welcher die Psychologie möglicher Weise am Schlüsse ihrer Arbeit geführt 
1) Vergl. hierzu den Aufsatz Philosophie und Wissenschaft in meinen Essavs, 
S. 1 ff.
	        
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