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Verlauf der nervösen Leitungsbahnen.
wie das centromotorische der gesammten Körpermuskulatur, und es kann
daher durch das schon benutzte Schema der Fig. 69 ebenfalls dargestellt
werden. Diese Coincidenz lässt es möglich erscheinen, dass in Bezug auf
die einzelnen Körperregionen hier für die Empfindungen eine ähnliche Yer-
theilung in übereinandergreifenden kleineren Centren stattfinden werde,
wie für die Bewegungen. Uebrigens gleichen die nach Abtragung der
Tastsphäre entstehenden Ausfallserscheinungen durchaus den bei den Spe¬
cialsinnen geschilderten darin, dass immer nur die Störung der Wahr¬
nehmung, niemals aber die im Anfang zuweilen vorhandene völlige Em¬
pfindungslähmung einen dauernden Charakter besitzt.
Die Frage nach der Natur der Rindenfunctionen ist in der obigen Dar¬
stellung nur insoweit berührt worden, als sie mit dem Problem der Endigung
der Leitungsbahnen in der Großhirnrinde in Beziehung steht. Jene ^ selbst
kann erst im nächsten Capitel, bei der Besprechung der gesammten centralen
Functionen, zur Erörterung kommen. Auch in dieser Beschränkung gelasst sind
jedoch die physiologischen Versuche über die Localisation der centromotori-
sehen und centrosensorischen Bahnen ein noch immer vielfach umstrittenes Ge¬
biet, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass die zwischen der Hypothese der
scharf umschriebenen Localisation und der Leugnung jeder localen Scheidung
mitten inne liegenden Vorstellungen, wie sie im allgemeinen im Vorangegan¬
genen ihren Ausdruck fanden, allmählich das Uebergewiclit erlangt haben. Es
mag sein, dass schließlich die einzelnen motorischen Gebiete etwas enger oder
etwas umfassender anzusetzen sind, als oben angenommen wurde, die Grund¬
voraussetzung, dass die einzelnen Functionsherde um bestimmte enger um¬
schriebene Centren sich ausbreiten, und dass sie zugleich vielfach in einander
einsreifen, hat sich mehr und mehr bei den unbefangenen Beobachtern als die
wahrscheinlichste herausgestellt, Mit besonderer Energie hat Goltz der An¬
nahme scharf umschriebener Localisationen widersprochen. Seine Arbeiten1 2) haben
das Verdienst, dass sie sowohl durch ihren eigenen Inhalt wie durch die an¬
derweitigen Prüfungen, die sie herausforderten, zur Klärung der Anschauungen
vieles beitrugen. Die Besultate, zu denen Goltz in seinen späteren Arbeiten-)
gelangt ist, stehen aber mit den Ergebnissen der meisten anderen Beobachter
nicht mehr in wesentlichem Widerspruch, und eine gewisse Ungleichheit der
centralen Vertretungen , die in ihren allgemeinen Zügen der oben dargelegten
gleicht, nimmt nun auch Goltz an. Anderseits haben Hitzig3) und Fermer4),
von denen letzterer namentlich früher eine engere Localisation behauptete, sich
in neuerer Zeit ebenfalls im Sinne einer unbestimmteren Begrenzung ausge¬
sprochen5). Zugleich bemerkte aber allerdings Hitzig, dass es möglich sei
die Glieder einzeln in ihren Bewegungen zu alteriren, wTenn man an der
Grenze eines durch die Beizversuche nachgewiesenen Centrums das Gehirn
durch den Stich eines halbstumpfen Instrumentes verletze.
1) Die vier ersten Abhandlungen (Pflüger’s Archiv 1 876—81) erschienen u. d. T.:
Ueber die Verrichtungen des Großhirns. Bonn 1881.
2) Pflüger’s Archiv XXVI, S. 1 ff., XXXIV, S. 451 ff., XXXVI, S. 479 ff'.
3) Arch. f. Psychiatrie XV, S. 270 ff. Berliner klinische Wochenschrift, 1 886, S. 663.
4) The functions of the brain. 2. edit.
5) Vgl. zur selben Frage auch Paneth, Pflüger s Archiv XXXVII, S. 523 ff.