Die Zeitdauer einfachster psychischer Vorgänge. 355
den ein möglichst scharfes Bild derjenigen Empfindung festgehalten, auf
welche er zu reagiren hat, und die Beaction erfolge nun, sobald die
Xiebereinstimmung constatirt ist, so ist kaum einzusehen, welche Bolle
hierbei der andere Beiz spielt und wie die für die Becognoscirung
nöthige Zeit von der Beschaffenheit dieses, bez. dem Unterschiede beider
abhängen soll. Es ist indessen leicht ersichtlich, dass sich die Sache
etwas anders verhalten muss. Je nach der Art nämlich desjenigen Beizes,
auf den nicht reagirt wird, genügt es zuweilen schon die Uebereinstim-
mung des empfundenen mit irgend einer Kategorie, gar nicht mit dem
vollen Erinnerungsbilde des zu beantwortenden constatirt zu haben.
Nehmen wir z. B. einen Gesichtsreiz als zu beantwortenden. Ist der
andere Beiz ein Gehörsreiz, so genügt es sich klar zu werden, dass man
gesehen habe; ist der andere dagegen ebenfalls ein optischer Beiz, nur
von anderer Farbe, so muss man die Uebereinstimmung der Farbe con-
statiren. Kommen Beize aller möglichen Art vor, welche sich in ver¬
schiedenster Weise von dem einen zu beantwortenden unterscheiden und
theilweise mit ihm übereinstimmen, so wird der Vergleich mit dem
vollen Erinnerungsbilde dieses nothwendig. So verhält sich die Sache
nun auch hier. Es ist hier nicht nothwendig die Vorstellung eines ganz
bestimmten Intensitätsverhältnisses im linken und rechten Ohr festzu¬
halten. Dies wäre nur erforderlich, wenn der linke Beiz nicht nur vom
rechten, sondern auch von einem noch weiter links gelegenen unter¬
schieden werden müsste. In unserem Falle kommt es immer nur darauf
an, zu bemerken, in welchem Ohre die Empfindung stärker war. Dies
wird begreiflicher Weise um so schneller geschehen können, je mehr das
Verhältniss beider Intensitäten von 1 verschieden ist, je schneller die
beiden Curven l und r in obiger Figur sich von einander entfernen.
Als besonders merkwürdig möchten wir hervorheben, dass die beiden
Unterscheidungen, welche mit höchster Wahrscheinlichkeit auf einem
unbewussten Schlüsse beruhen, im Allgemeinen so wenig Zeit erfordern,
die optische Entfernungslocalisation nämlich und die Gehörslocalisation-
Wir finden sie in den oben gegebenen Zusammenstellungen keineswegs
zuletzt, sondern mitten unter denjenigen, welche wir als einfache Unter¬
scheidungen bezeichnen könnten. Da der unbewusste Schluss das Er¬
kennen der Qualitäten, aus welchen geschlossen wird, auch noch voraus¬
setzt, so können wir hieraus abnehmen, mit welcher enormen Schnellig¬
keit diese psychischen Acte (wenn sie überhaupt als solche bezeichnet
werden dürfen) ablaufen.
Was endlich die Beurtheilung von Intensitäten anlangt, so haben
wir darüber nur am Tastsinn Versuche angestellt. Es ergab sich, wie
erwähnt, 1) dass die Unterscheidungszeiten sehr lang sind, auch bei
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