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Johannes Schubert.
Sehen wir indessen von diesen metaphysischen Inconsequenzen
ah und betrachten Shaftesbury’s Philosophie auf ihre Bedeutung
für die Fortentwicklung der Ethik hin, so müssen wir ihre anre¬
gende Kraft sehr hoch anschlagen. Die Neuheit des Gedankenge¬
haltes, gestützt und gehoben durch eine ebenso ungewöhnliche,
gegen die trockene Weitschweifigkeit der Intuitionisten vortheilhaft
abstechende und eine vollendet vornehme Persönlichkeit wieder¬
spiegelnde äußere Darstellung, musste einen großen, anregenden
Einfluss ausüben ; andererseits macht die umfassende, zahlreiche
forthildungsfähige Keime ausstreuende Universalität des Mannes eine
nach verschiedenen Richtungen hin erfolgende Fortsetzung seiner
Philosophie erklärlich.
So finden wir den ersten seiner bedeutenderen Schüler, den
ernsten, religiösen, von einer der menschlichen Natur wenig zu¬
trauenden pessimistischen Grundstimmung beherrschten Butler in
manchen Punkten auf völlig entgegengesetztem Standpunkt stehend;
als Fortsetzer Shaftesbury’s muss er indessen aus zwei Gründen
angesehen werden. Er hat erstens den Begriff des »moralischen
Sinns« durch den des Gewissens, der Verpflichtung bereichert. Bei
Shaftesbury handelte es sich vor allen Dingen um die Frage:
Welch ein Seelenvermögen lässt uns zwischen gut und böse unter¬
scheiden? Es war ihm in seinem Optimismus selbstverständlich,
dass man das als gut empfundene auch ausführt; alle schlechten
Handlungen in der Welt entsprangen ihm wesentlich aus einer
fehlerhaften Organisation jenes Unterscheidungsvermögens — etwa
so, wie jemand, der mit einem schlechten musikalischen Gehör
begabt ist, auch nothwendig schlechte Musik macht. Aber dem
vertrauensseligen liberalen Weltmanne tritt der einsame geistliche
Denker ergänzend gegenüber, indem er auf das nachdrücklichste
den Begriff einer activen Verpflichtung betont — freilich, ohne
demselben eine bessere Begründung geben zu können, als durch
den Hinweis auf die Coincidenz von Pflichterfüllung und Privat¬
interesse, Wir werden später sehen, wie Adam Smith jenen
wichtigen Begriff in seine Theorie aufnimmt und ihn, ohne das
gleiche »unglückliche Zugeständniss an den allgemeinen Zeitgeist«1)
1) So nennt Stephen in seiner »Geschichte des englischen Denkens« jene
Beweisführung des von ihm sonst sehr hochgestellten Denkers.