Adam Smith’s Moralphilosophie.
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der Theorie liegt natürlich ein psychologischer Determinismus}
auch hätten wohl die streng deterministischen Ansichten Hume’s
Smith zum mindesten zu einer Polemik gegen dieselben veranlasst,
falls er sie nicht gebilligt hätte. Dies sind indessen nur Ver¬
muthungen, welche noch kein entscheidendes Urtheil gestatten.
Werfen wir jetzt zum Schluss die Frage auf: Welch einen
Eindruck macht Smith’s Theorie, wenn wir sie aus der objectiv-
historischen Beleuchtung in das Licht unserer modernen wissen¬
schaftlichen Anschauungen rücken, so ist derselbe ein unvergleich¬
lich besserer, als er vielleicht noch vor wenigen Jahrzehnten ge¬
wesen wäre, wo die Ethik, nach einem Schopenhauer’sehen
Ausdruck, noch ganz auf dem Ruhepolster schlummerte, welches
ihr durch Kant untergelegt war.
Die psychologische Methode der Untersuchung, von Smith
mit hervorragender Kunst geübt, ist wieder in ihr Recht als «Vor¬
halle zur Ethik zu dienen«, eingesetzt; ergänzt und erweitert wird
sie durch anthropologische, völkerpsychologische und historische
Forschungen — Hülfswissenschaften, von denen wir bei Smith
nur die allerersten Keime erblicken.
Andererseits forderte der extreme, die Gesellschaft atomisirende
Individualismus, mit welchem Smith der Stimmung seines Jahr¬
hunderts einen energischen Ausdruck gegeben hat, eine durch den
Geist unserer Zeit gebotene Ueberwindung; und es ist wahrlich
kein Zufall, dass diese Ueberwindung, wie sie durch den Begriff
eines Gesammtwillens geleistet worden ist1), gerade von der¬
jenigen modernen Richtung ausgegangen ist, welche bei aller
Verschiedenheit der Problemstellung, der Hilfsmittel und der
einzelnen Methoden doch in den allgemeinsten principiellen
Grundvoraussetzungen eine unleugbare innere Verwandtschaft mit
der alten englischen Psychologie aufweist.
Erklärt jener Individualismus das Mannigfaltige, das Schwan¬
kende und Fließende der sittlichen Begriffe und Urtheile — Er¬
scheinungen, welche nach einer treffenden Bemerkung Jodl’s
sich auch in charakteristischer Weise in der ganzen Darstellungs-
1) Vgl. hierüber Wundt, »Ethik« S. 384 ff. und »System der Philosophie«
S. 591 ff.