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Johannes Schubert.
aber zweierlei Schlüsse ziehen: Entweder die Sympathie (im
Smith’sehen Sinnei) ist überhaupt gar kein selbständiger Trieb,
der etwa, physiologisch gesprochen, auf ein eigenes Nervencentrum
Anspruch machen darf; sie ist weiter nichts als eine im Gehirn
des Zuschauers sich vollziehende Modification desjenigen Affects,
der sich mit ursprünglicher Kraft in der Seele des unmittelbar
Betroffenen abspielt, ihre Curve würde, graphisch dargestellt, eine
etwas andere sein, als diejenige des Originalaffects und in der
Gleichung dieser Curve würden einige Factoren aus der Gleichung
der Originalcurve fehlen; oder sie ist ein völlig selbständiger
Trieb, der sich in jedem einzelnen Falle mit jenem modificirten
Affect verbindet; dann ist aber ein Gefühlscomplex vorhanden, bei
dem es sich fragt, welcher von beiden Theilen als der primäre, die
Auslösung des anderen bewirkende Factor angesehen werden muss.
Indessen darf man sich nicht allzuweit in diese Fragen ein¬
lassen; es soll dadurch nur gezeigt werden, wie ein Begriff, der
Jedermann durch Selbsterfahrung unmittelbar klar zu sein scheint,
nun seiner scharfen Definition die größten Schwierigkeiten entgegen¬
stellt. Nur der völlige Verzicht auf die letztere macht es erklärlich,
dass eine sogenannte »Vernunftmoral« so erstaunlich lange Geltung
behalten konnte. Und allerdings kann man mit dem Begriff der Ver¬
nunft alles mögliche anfangen, wenn man ihn als eine gegebene
Größe ansiel}t. Da sind doch den Intuitionisten und Kant gegen¬
über die Theorien von Hobbes und seiner Schule von größerem
wissenschaftlichen Werthe; ihre Systeme gehören ja auch zur Ver¬
nunftmoral, aber ihnen entsteht Sittlichkeit aus einem mehr oder
weniger complicirten logischen Schlussverfahren mit dem endgültigen
Ziel der Befriedigung selbstsüchtiger Zwecke; darunter kann ich
mir immerhin etwas vorstellen, auch wenn ich mich nicht zu dieser
Ansicht bekenne; unter Kant’s »praktischer Vernunft« aber nicht
das mindeste.
Zu Adam Smith’s Theorie zurückkehrend, bleibt uns noch
die Erwähnung des im Jahre 1790 hinzugefügten Abschnittes
»Ueber den Charakter der Tugend« übrig. Darin gibt er als Er¬
gänzung zu dem vor allem die Frage nach dem Billigungsprincip
behandelnden Hauptwerke eine Beschreibung und Würdigung der
einzelnen sittlichen Erscheinungen selber. In diesen der letzten